Die Abwehr unerwünschter Einwanderung ist eine vorrangige Aufgabe deutscher Grenzkontrolleure. Die Praxis weist sie auch als Kulturträger aus. „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun“, wußte schon Nationalschwulstkomponist Richard Wagner.
Eine Einreiseverweigerung für Studierende oder Gastforscher in anderen Schengen-Ländern begründet die Bundespolizei immer wieder damit, daß diese Reisenden nur ein nationales Visum ihres Gastlandes besitzen. Auch dann, wenn diese Deutschland eigentlich visafrei besuchen dürfen – das ist kafkaesk. Dieselben Personen können zu einer anderen Zeit problemlos nach Deutschland kommen – solange sie als Touristen das Flugzeug in São Paulo oder Rio besteigen statt in Rom oder Madrid. Kenner der Szenerie bescheinigen im übrigen dem Berlin-Schönefelder Airport eine besonders restriktive Handhabung der Einreisebestimmungen.
Erst vor wenigen Wochen war ein ähnlicher Streit über Grenzkontrollen zwischen Spanien und Brasilien eskaliert. Nachdem brasilianische Reisende verstärkt an der Einreise nach Spanien gehindert wurden, ließ Brasilia spanischen Touristen ebenfalls die rote Karte zeigen. Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva selbst schaltete sich in den Konflikt ein. Spaniens Premier Zapatero sagte daraufhin zu, die humanitären Bedingungen, unter denen abgewiesene Brasilianer zum Teil tagelang auf Flughäfen vor einer möglichen Rückreise festgehalten werden, zu verbessern. Über eine Hotline zwischen den spanischen Behörden und den Konsulaten des südamerikanischen Landes sollen gemeinsam strittige Fälle geklärt werden.
Längst hat sich auch die brasilianische Presse ihrer aus Deutschland expedierten Landsleute angenommen. Den deutschen Grenzbeamten wird vorgeworfen, Brasilianern generell mit Mißtrauen zu begegnen. „Obwohl überhaupt kein Visum erforderlich ist“, haben diese „nach Meinung dieser Bürokraten nicht das richtige Visum in ihrem Paß“, war in der einflußreichen Tageszeitung O Globo zu lesen. „Die deutsche Regierung hat ein kurzes Gedächtnis“, wird daran erinnert, daß Brasilien im 19. und 20. Jahrhundert ohne Ansehen der Person 200000 deutsche Einwanderer aufgenommen hat.
Vom 13. bis 15. Mai macht Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Weg zum EU-Lateinamerika-Gipfel in Peru auch in São Paulo und Brasilia Station. Es ist nicht auszuschließen, daß in den Gesprächen mit Präsident Lula – vorrangig dürfte es um die Bestrebungen brasilianischer Bioethanolproduzenten um einen Marktzugang nach Europa gehen, denen die Interessen der deutschen Automobilindustrie und der mit ihr verbundenen Öllobby entgegenstehen – auch die Schikanen gegen brasilianische Touristen ein Thema werden.
Von Peter Steiniger. Tageszeitung junge Welt, 19.04.2008, https://www.jungewelt.de/2008/04-19/025.php