Nach den Kommunalwahlen vom Sonntag sprechen Portugals Medien von einem politischen Erdbeben. Es kam allerdings nicht unerwartet, daß die Partei von Ministerpräsident Passos Coelho eine herbe Niederlage einstecken mußte.
Die langmütigen Portugiesen haben mehrheitlich die Nase voll von all den Opfern, die den kleinen Leuten abverlangt werden, um die Staatsfinanzen zu sanieren, damit das Land eines schönen, fernen Tages bei den Finanzhaien wieder Gnade findet. Die liberal-konservative PSD und ihr Premier streben in ihren Augen mehr nach Lob aus Brüssel und Berlin, als daß sie sich über die Sorgen ihrer Landsleute den Kopf zerbrechen. Des einen Freud, des anderen Leid: Anders als ihre deutsche Schwesterpartei CDU kann sich die PSD nicht als Retterin in der Krise darstellen, von einer charismatischen Führungsperson mit authentischem Mienenspiel und schützender Raute à la Merkel ganz zu schweigen. Dem kleineren, weiter rechts stehenden Koalitionspartner CDS immerhin gelang rechtzeitig vor der Wahl eine Absetzbewegung. Sie bleibt zwar auf dem bereits lecken Regierungsschiff, konnte aber mit sozialer Rhetorik erfolgreich Wählerstimmen fischen und für ihren Spitzenmann Paulo Portas das Amt des Vizepremiers erpokern. Doch unter dem Strich bleibt: Portugals Regierung findet in der Bevölkerung immer weniger Rückhalt für ihre Troika-hörige Politik, ihre Wählerschaft schwindet rasant und damit ihre Legitimität. Nach Portugals Verfassung wäre es an Staatspräsident Cavaco Silva, das politisch gescheiterte Kabinett auf die Straße zu setzen und den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen frei zu machen. Doch damit ist bei der momentanen Fallhöhe der Lissaboner Mitte-rechts-Koalition nicht zu rechnen.
Wie sehen nun die Umwälzungen durch das große Beben aus? Das Pendel zwischen den beiden großen Parteien ist wieder einmal zurückgeschwenkt: Die oppositionellen Sozialisten profitieren vom Niedergang der PSD und finden fast zu alter Stärke zurück. Auch wenn ihr die Macht geradezu in den Schoß fiele: Die PS hat es nicht allzu eilig, auch national wieder ans Ruder zu gelangen. Sie selbst hatte das Abkommen mit der Troika, das berüchtigte Memorandum zu den Notkrediten in Höhe von 78 Milliarden Euro, ja mit ausgehandelt. Und wie weh Sozis das Scheiden tut, läßt sich am deutschen Beispiel Agenda 2010 sehen. Merkels Sieg in Berlin läßt das politische und ökonomische Diktat am Tejo noch mächtiger wirken.
Die kommunalen Erfolge der Kommunisten haben immerhin mehr Rot auf Portugals Karte gezeichnet. Mehr als nur ein Schimmer Hoffnung gegen Wahlenthaltung und Resignation. Doch trotz Misere und Massenprotesten gilt: Portugal ist nicht das vorrevolutionäre Armenhaus von 1973. Bis zu einer echten politischen Alternative und einer neuen machtpolitischen Option – die von der PCP propagierte „linke, patriotische Regierung“ – ist es ein weiter Weg. Das Erdbeben von Lissabon steht noch aus.
Von Peter Steiniger. Erschienen in: junge Welt vom 01.10.2013, Nr. 228, S.8, Link