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Masterplan der Reaktion

Dilma Rousseff wurde 2016 nicht wegen irgendwelcher Bilanztricks und ganz sicher nicht zum Spaß gestürzt. Grund waren nicht ihre miserablen Umfragewerte, als die Krise Brasilien traf, wie uns hierzulande liberale und konservative Politiker weismachen wollten, um den von ihnen begrüßten Umsturz weißzuwaschen. Oder stellen sie heute Temer in Frage, dessen Popularität ganz andere Tiefpunkte kennt? Die legitime Präsidentin wurde gestürzt, weil die Mehrheit der Wähler trotz der Anti-PT-Kampagne der oligarchischen Medien dem Willen der reichen Elite 2014 nicht hatte Folge leisten wollen. Die gemäßigte Linke musste den Palácio do Planalto räumen, weil sie dem totalitären neoliberalen Politikwechsel im Wege stand und vor allem, weil Brasilien geopolitisch ein zentraler Spielstein ist, der sich nicht nach den Wünschen Washingtons bewegte. Weil die gewaltigen Ressourcen des Landes – die Ölvorkommen vor seiner Küste, Kohle und Erz, Süßwasser und die Schätze des Amazonas – im Spiel sind.

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Der progressive Zyklus in Lateinamerika wurde unterbrochen. Medien und Justiz werden von der Rechten als politische Hebel eingesetzt. Das ist möglich, weil die gesellschaftlichen Veränderungen und die im Staat nicht tief genug reichten. Die Dominanz der Linkskräfte war auch in Brasilien stets fragil. Neben den realen Kräfteverhältnissen, den erzwungenen Kompromissen, trug auch die Transformation der Parteien an der Macht und beim Weg durch den Sumpf der etablierten Politik zu dieser Niederlage bei.

Was in historisch kurzer Zeit in einem Land kontinentalen Ausmaßes erreicht wurde, war dennoch revolutionär und veränderte das Leben von Millionen positiv. Es verbindet sich für sie vor allem mit einem Namen: Luiz Inácio Lula da Silva. Die Verdienste, die er sich als Präsident erwarb, stehen – anders als bei den traditionellen Politikersippen – nicht in Schweizer Kontobüchern oder lassen sich in den Panama Papers finden. Sondern auf den Tellern der Armen, deren Tische nun wieder abgeräumt werden.

Weil immer noch zu viele Brasilianer wissen, wen sie im Herbst wählen würden, wird Lula mit Prozessen und Urteilen überzogen. Das Skript hat viele Seiten: Ein paar echte Halunken wurden als „Kühe für die Piranhas“ geopfert, um den Boden für dieses Unrecht zu bereiten. Der Putsch ist erst am Ziel, wenn eine Rückkehr der Arbeiterpartei, die das aufgeklärte Bürgertum zurückgewinnen und links von sich Verbündete finden muss, ausgeschlossen ist. Lulas Kandidatur soll unterbunden werden. Dass die Wahl 2018 überhaupt stattfindet, ist keine sichere Wette. Und die Machtübergabe an das Militär muss nicht auf Rio de Janeiro beschränkt bleiben. Die schwersten Kämpfe stehen erst noch bevor.

Von Peter Steiniger. Veröffentlicht in: junge Welt, Ausgabe vom 22.02.2018, Seite 3 / Schwerpunkt, Link