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Tränen und Taktierer

Brasiliens Interimspräsident Michel Temer hat eine Niederlage erlitten, die ihm wenig Kopfschmerzen bereiten dürfte. In der Nacht zum vergangenen Donnerstag scheiterte der von ihm für das Amt des Parlamentspräsidenten präferierte Kandidat Rogério Rosso. In einer Kampfabstimmung konnte sich im Abgeordnetenhaus in Brasília Rodrigo Maia von den konservativen Demokraten (DEM) mit 285 zu 170 Stimmen durchsetzen. In der ersten Runde hatte Maia bereits knapp vor Rosso gelegen, die absolute Mehrheit jedoch verfehlt.

Die Wahl war notwendig geworden, nachdem der bisherige Parlamentschef Eduardo Cunha, wegen einer Schmiergeldaffäre mit geheimen Bankkonten in der Schweiz am 5. Mai vom Obersten Gerichtshof suspendiert, eine Woche zuvor zurücktrat. Der ultrakonservative Cunha war einer der Drahtzieher der politisch motivierten Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) wegen angeblicher Bilanztricks. Rousseff ist seit dem 12. Mai suspendiert, nach den Olympischen Spielen von Rio de Janeiro im August muss noch der Senat ihre endgültige Absetzung bestätigen. Cunha, ein Allierter Temers, droht auch der Verlust seines Abgeordnetenmandats und damit ein Zugriff der Justiz. Für diesen Fall hat er damit gedroht, viele weitere Abgeordnete mit ins Verderben zu reißen. Sie werden sich ihre Entscheidung gut überlegen müssen.

Sein Nachfolger Maia war bis vor kurzem selbst noch einer von Cunhas Gefolgsleuten. Seine Treue zu diesem wandelte er nun eilig in Distanz um. Aber Maia darf ohnehin nur bis zum 31. Januar 2017, so lange währt die Amtsperiode noch, den Sessel des Parlamentspräsidenten hüten, dann wird erneut gewählt. Die DEM ist an der Temer-Regierung beteiligt. Zum informellen Mitte-rechts-Block „Centrão“ aus 13 Parteien, der Temer-Cunha-Hausmacht im Parlament, zählt sie hingegen nicht. Übrigens, auch der Name Maias, des ehemaligen Bankers und Sprössling einer Politikerdynastie, der schon die fünfte Legislatur in Folge im Politikbetrieb in Brasília aktiv ist, fiel im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen. Das aber gehört schon eher zum Standard.

Um den Posten des Parlamentspräsidenten hatte sich gleich ein Dutzend Kandidaten beworben. In den Hinterzimmern war emsig um Stimmen gefeilscht worden. Einen politischen Achtungserfolg mit 22 Stimmen landen konnte Luiza Erundina von der linken PSOL, mit sechs Mandaten im Parlament vertreten, die das Temer-Kabinett kompromisslos attackierte. Offiziell unterstützte die Arbeiterpartei der bisherigen Präsidentin zunächst Marcelo Castro. Der gehört wie Temer der opportunistischen Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB) an, ist aber Gegner des Impeachments. Im Hintergrund steht die Hoffnung auf eine Wende des Verfahrens im Senat. Vor dem Sieg im Stechen gegen Rosso umgarnte Maia auch die Abgeordneten des linken Lagers von PT, PDT und Kommunisten (PCdoB). Aus taktischen Gründen gegebene Stimmen aus ihren Reihen sorgten bei dem geheimen Votum mit für eine Niederlage des „Centrão“-Vertreters. Konsequentes Opponieren geht anders. Der Vorgang dürfte der Glaubwürdigkeit ihres Widerstands gegen den Temer-Putsch schaden. Nach der tränenreichen Annahme seiner Wahl warb Parlamentspräsident Maia für eine „Befriedung des Plenums“ und den Dialog. Michel Temer gratulierte per Twitter. Der unterlegene Kandidat Rosso sagte Maia vollen Beistand zu. Man stünde auf derselben Basis. „Wir werden die Regierung Temer unterstützen“, versicherte Rosso.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 16.07.2016, S.7, Link

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