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Madeiras krummes Ding

Der Appetit auf süße Madeira-Bananen dürfte den Regierenden in Lissabon derzeit vergangen sein. Die versteckten Schulden der portugiesischen Inselgruppe im Atlantik beherrschen die Schlagzeilen. Am 9. Oktober stehen dort Regionalwahlen an. Ausgaben in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro hatte die dortige Administration vor den Lissaboner Behörden verschleiert. Das „Loch von Madeira“, wie es hier heißt, ist jedoch noch um einiges tiefer oder – in den Worten von Pedro Passos Coelho, Ministerpräsident von der Mitte-Rechts-Partei PSD, „kolossal“. Die direkten und indirekten Schulden der autonomen Region mit weitgehenden Selbstverwaltungsrechten belaufen sich auf satte 5,8 Mil­liarden Euro, wie Alberto João Jardim, Präsident der Regionalregierung und Chef des madeirensischen PSD-Ablegers, mittlerweile einräumte. Wegen mangelhafter Haushaltsführung stufte die Ratingagentur Moody´s die Kreditwürdigkeit der Regionalregierung Madeiras umgehend um zwei Stufen von B1 auf B3 herab.

Schlechte Nachrichten

Für Portugal, daß sich von der „Troika“ aus IWF, EU und Weltbank finanziell unter die Arme greifen läßt und im Gegenzug zu einem strikten „Sparkurs“ für eine drastische und schnelle Reduzierung seines Haushaltsdefizits verpflichtete, sind das wieder einmal schlechte Nachrichten. Das Austeritätsprogramm mit höheren Steuern, steigenden Preisen für Energieträger und Nahverkehr, mit Einschnitten bei Investitionen und im öffentlichen Dienst lassen Wirtschaft und Kauflaune schrumpfen. Die Prognosen von Regierung und Zentralbank für das kommende Jahr wurden nach unten korrigiert: Es wird nun erwartet, daß das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2012 statt um 1,8 Prozent, gleich um 2,3 Punkte zurückgeht. Passos Coelho macht hierfür in erster Linie schlechtere Aussichten für die globale Wirtschaft und die Exportabhängigkeit Portuals verantwortlich. Die Wende sollen Privatisierungen bringen. Neben dem Banken- und Energiesektor steht auch die nationale Fluglinie TAP (Air Portugal) zum Verkauf. Die International Airlines Group (IAG), eine Holding von British Airways und der spanischen Fluglinie Iberia, sowie der Verbund von brasilianischer TAM und chilenischer LAN, Latam, sondieren bereits das Terrain. Für 2013 wird mit 1,2 Prozent Wachstum ein zarter Silberstreif an den Horizont gemalt. Für diesen wollen viele Portugiesen jedoch nicht immer weitere Opfer bringen. Für diesen Sonnabend hat die Gewerkschaftszentrale CGTP-Intersindical zu neuen Massenprotesten aufgerufen.

Sein Milliardenloch sei doch nur „eine Kleinigkeit unter den sonstigen Schulden“ des Landes (die sich auf etwa 93 Prozent des BIP summieren), wiegelt Jardim ab und keilt kräftig aus, nicht zuletzt gegen Parteifreunde auf dem „Kontinent“. Passos Coelho verzichtet da lieber auf gemeinsame Wahlkampfauftritte. Man habe sich für eine Ausweitung des Defizits entschieden, um Investitionsvorhaben und Bauprojekte fortführen zu können und einen Stillstand der madeirensischen Wirtschaft zu verhindern, klingt Jardim wie ein Anhänger der keynesianischen Wirtschaftslehre. Als „starker Mann“ steht Jardim seit mehr als dreißig Jahren unangefochten an der Spitze seiner Regionalregierung. Regelmäßig erzielt die PSD dort satte absolute Mehrheiten. Wer anderen eine Grube gräbt, muß nicht selbst hineinfallen: Ein erneuter Wahlsieg des Rechtsauslegers gilt als ausgemacht. Schon während der Salazar-Diktatur hatte der damalige Journalist einen guten Draht zur Macht. Nach der Nelkenrevolution 1974 zunächst führender Aktivist der sogenannten Befreiungsfront des Archipels von Madeira (FLAMA), einer antikommunistischen terroristischen Vereinigung, wurde er zum großen Strippenzieher im Filz aus Wirtschaft und Politik, bei der Vergabe von Posten und Aufträgen. Unter ihm kam Geld aus Lissabon und von der EU in die einst rückständige Region.

Bananenrepublik

Die Opposition beklagt scheindemokratische Verhältnisse wie in einer „Bananenrepublik“. Das Wahlbündnis aus Kommunisten und Grünen (CDU) prangert die Ausgrenzung und Benachteiligung Andersdenkender bei Jobs und Karrieren an. Das „System Jardim“, der jardinismo, stehe für eine „autoritäre politische Praxis, die Vetternwirtschaft, Klientelismus und Korruption erleichtert“. Dessen Kopf jedoch ist für Kritik weder von links noch von rechts empfänglich. Hinter allem stecke eine Kampagne gegen seine Untertanen. Quer durch die Parteien seien dabei „Geheimgesellschaften“ am Werke – eine Anspielung auf den Einfluß des Freimaurerordens und von Logen. Auch appelliert er an provinzielle Ressentiments: „Die Madeirenser lassen sich nicht von Lissabon erniedrigen.“

Neu am Fall Madeira sind Dimension und öffentliches Aufsehen. Denn die rechtlich relativ große finanzielle Autonomie der portugiesischen Lokalverwaltungen schlägt sich zwar einerseits positiv in starken Kommunen, andererseits aber auch in schwacher Haushaltsdisziplin, in Fehlinvestitionen und versickernden Geldern nieder. Kleine und mittlere Skandale sind an der Tagesordnung. Lokale Verwaltungen sollen nun reorganisiert und deren Zahl deutlich reduziert werden. Über die Folgen des Schuldenlochs für Madeira selbst und ein finanzielles „Anpassungsprogramm“ im Rahmen ihrer Austeritätspolitik möchte die Regierung Passos-Coelho erst nach den Wahlen verhandeln.

Von Peter Steiniger. Quelle: Tageszeitung junge Welt, 01.10.2011, Nr. 229, S.9, https://www.jungewelt.de/2011/10-01/026.php

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