
Auch in der Hauptstadt Brasília wird demonstriert, wo eines der Protestcamps der Bewegung „für Lula und die Demokratie“ im Entstehen ist (12.4.2018). Foto: Comunicação MST
Die Sicherheitskräfte sind beunruhigt. Es werden Forderungen laut, den politischen Gefangenen an einen anderen Ort zu verlegen. Denn der Zulauf zum Protestcamp in Curitiba, der Hauptstadt des Bundesstaates Paraná, reißt nicht ab. Tausende kommen, um an den Kundgebungen unter den Fahnen aller linken Parteien und Bewegungen teilzunehmen, um die Reden von Aktivisten und Politikern zu hören, um die Auftritte von Künstlern mitzuerleben oder um Wasser und andere hier dringend benötigte Lebensmittel bei den Organisatoren als Spende abzugeben. Diese haben angekündigt, ihre Aktion fortzuführen, bis sich Luiz Inácio Lula da Silva, der frühere Präsident und Kandidat der Arbeiterpartei (PT) für die Wahlen im Oktober, wieder in Freiheit befindet. Dessen PT hat ihren Sitz von São Paulo nach Curitiba verlegt. Die von Schwerbewaffneten gesicherten Absperrungen vor der „Demokratischen Mahnwache für Lulas Freiheit“ werden immer weiter ausgebaut.
Seit dem vergangenen Samstag abend sitzt Lula im in Sichtweite zum Protest gelegenen Polizeigefängnis in Curitiba in Isolationshaft. Der so geliebte wie gehasste Politiker soll eine Haftstrafe wegen Korruption und Geldwäsche von zwölf Jahren verbüßen. Der Prozess war eine Inszenierung mit gezinkten Karten. Auch in den Verfahren mit Beschuldigten aus der konservativen Politikerkaste scheint sich in diesen Tagen das eine oder andere zu tun. Allerdings dienen die Schlagzeilen um Leute wie Geraldo Alckmin, dessen großbürgerliche PSDB ein Synonym für straflose Verbrechen ist, den rechten Leitmedien eher als Nebelvorhang, um eine unbefangene Justiz vorzugaukeln. Doch auch als Sträfling führt Lula die Umfragen weiter an. Pläne des einflussreichen Instituts Datafolha, ihn demnächst von der Wen-würden-Sie-wählen-Frage auszuschließen – rechtlich ist das letzte Wort zu seiner Kandidatur noch gar nicht gesprochen – stoßen in seinem Lager auf energischen Protest.
Am Mittwoch kam eine Delegation aus fünfzehn hochrangigen Politikern, darunter die Gouverneure etlicher Bundesstaaten, zum Hauptquartier der Bundespolizei, um Lula einen Besuch in der Haft abzustatten. Angemeldet hatte sie dort Senator Roberto Requião, ein demokratisch gesinnter bürgerlicher Politiker, welcher der Partei von Präsident Michel Temer angehört. Das ist aber auch schon das einzige, was die beiden verbindet. Die Behörden verweigerten der Delegation den Besuch, worin die Beteiligten einen glatten Rechtsbruch sehen. Handschriftlich hinterließen sie für Lula eine gemeinsame Botschaft der Solidarität.
Demonstrationen für Lula und auch weitere Protestcamps enstehen an immer mehr Orten. Die nordöstliche Metropole Fortaleza ist nur ein Beispiel. Vor dem dortigen Gerichtsgebäude wird seit Donnerstag auf unbestimmte Zeit kampiert. Tag eins in der Hauptstadt von Ceará beginnt mit einer öffentlichen Vorlesung zu den „politischen und rechtlichen Aspekten des Putsches“, darauf folgen Konzerte und Open-Air-Kino. Im Film geht es um den bewaffneten Widerstand gegen die Militärdiktatur (1964–1985). Organisiert wird das Projekt unter dem Motto „Camp des Volkes von Ceará für Lulas Freiheit“ von einem breiten Bündnis.
Der Kongress in Brasília erlebt einmal mehr stürmische Sitzungen. Abgeordnete und Senatoren der Opposition tragen den Protest der Straße auch dorthin, zeigen Transparente, die „Freiheit für Lula“ fordern, greifen den politischen Gegner verbal scharf an. In Onlinenetzwerken greifen immer mehr Menschen eine Passage aus Lulas letzter Rede auf. Darin hatte er erklärt, dass man ihn nicht zum Schweigen bringen könne, weil es in Brasilien bereits „Tausende Lulas“ gebe. In Anspielung darauf fügen seine Anhänger ihrem Namen ein Lula hinzu. Die PT-Vorsitzende, Senatorin Gleisi Hoffmann, ließ am Mittwoch den Präsidenten des Oberhauses wissen, dass sie im Parlament ab sofort offiziell den Namen Gleisi Lula Hoffmann zu führen gedenkt. Bis zum Donnerstag mittag (Ortszeit) hatten bereits 48 Abgeordnete und Senatoren eine entsprechende Erklärung, ihrem Namen ein Lula hinzuzufügen, abgegeben.
Wie am Mittwoch im niederländischen Den Haag finden in diesen Tagen auch vor etlichen Auslandsvertretungen Brasiliens Protestaktionen statt. Große Kundgebungen sehen besonders die Nachbarländer Argentinien und Uruguay, aber auch in Portugal und Spanien gehen viele Menschen auf die Straße, um ihrer Solidarität mit Lula Ausdruck zu verleihen.
Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 13.04.2018, Seite 6 / Ausland, Link