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Einladung in den Knast

Hände weg von Lula! (Lula während eines Besuchs in der Region Bacia do Rio Doce im Südosten Brasiliens, 24.10.2017). Foto: Ricardo Stuckert

Untersuchungsrichter Sérgio Moro hat den früheren Präsidenten Brasiliens, Luiz Inácio Lula da Silva, dazu aufgefordert, sich am Freitag bis 17 Uhr (Ortszeit) bei der Bundespolizei in Curitiba, der Hauptstadt des Bundesstaates Paraná, einzufinden, um eine Haftstrafe von zwölf Jahren und einem Monat anzutreten. Im dortigen Gefängnis wurde bereits eine Zelle für den Politiker der Arbeiterpartei hergerichtet. Das meldeten am Donnerstag abend brasilianische Medien.

Moro wurde damit sofort tätig, nachdem der Oberste Gerichtshof am Donnerstag mit sechs zu fünf Stimmen einen Antrag Lulas auf Haftverschonung abgelehnt und damit dessen in der Verfassung verankertes Recht, bis zu einem endgültigen Urteil in Freiheit zu verbleiben, ignoriert hatte. Von Lulas Verteidigung angekündigte weitere Einsprüche bewertet Moro in seiner Order als aussichtslos. Im Hinblick auf „die Würde des Amtes, welches er bekleidete“, räume er dem Expräsidenten die Möglichkeit ein, sich den Behörden freiwillig zu stellen. Zwischen der auch schon in Rekordtempo erteilten Zustimmung dafür durch ein regionales Bundesgericht und der Ausstellung des Haftbefehls für Lula durch Moro lagen nur 19 Minuten. Damit nahm er der Verteidigung die Chance auf einen erneuten Einspruch bei einem obersten Richter.

Im Juni 2017 hatte der von den bürgerlichen Leitmedien Brasiliens zum Star gekürte Ermittler und Richter in Personalunion Lula wegen Geldwäsche und Korruption zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Im Prozess wurde ihm unterstellt, von einem Baukonzern im Gegenzug für politische Entscheidungen während seiner Amtszeit ein Luxusappartement erhalten zu haben. Das Verfahren war ein Akt politischer Justiz, die Verurteilung beruht auf Fälschungen und kommt ohne Beweise aus. Lula hat die noble dreietagige Wohnung in Guarujá an der Küste des Bundesstaates São Paulo nachweislich weder je besessen noch genutzt. Es konnte auch kein Amtsakt nachgewiesen werden, der mit den Anschuldigungen in Verbindung steht. Ein Berufungsgericht in Porto Alegre setzte im Januar dieses Jahres das Strafmaß trotzdem noch herauf.

Mit dem Freiheitsentzug für Lula, der Voraussetzung dafür ist, ihm auch die politischen Rechte zu nehmen, wird der kalte Putsch fortgesetzt. Durch den war 2016 mit dem Sturz seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff durch ein Amtsenthebungsverfahren im Kongress die illegitime Regierung von Michel Temer installiert worden. Dessen Kabinett vollzog innen- und außenpolitisch eine scharfe Wendung nach rechts. Die neoliberalen „Reformen“ werden von Repression gegen die sozialen Bewegungen flankiert. Im Bundesstaat Rio de Janeiro wurde die Staatsmacht per Dekret an das Militär übertragen. Unter dem Vorwand der Bekämpfung der Drogenkriminalität stehen die Bewohner der Favelas unter Generalverdacht. Nun soll Lula daran gehindert werden, als aussichtsreichster Kandidat zu den Präsidentschaftswahlen im Herbst anzutreten.

Gleisi Hoffmann: Alle nach São Bernardo, an die Wiege der Arbeiterpartei!

Landesweit greift ein faschistischer Mob immer öfter zu Gewalt. Unter dem neuen Regime wurden bereits siebzig linke politische Aktivisten Opfer von Morden. Großgrundbesitzer und deren Komplizen haben es vor allem auf Vertreter der Indigenen- und der Landlosenbewegung abgesehen. Am 14. März fiel im Zentrum von Rio de Janeiro die schwarze Frauenrechtlerin und Stadträtin von der Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL), Marielle Franco, einem Attentat zum Opfer. Vor wenigen Tagen wurde ein Buskonvoi von Lula bei einer Tour durch den Süden Brasiliens ohne Polizeischutz gelassen, Teilnehmer an Veranstaltungen mit dem Politiker wurden dort wiederholt von rechten Randalierern attackiert. Im Bundesstaat Paraná gerieten die Fahrzeuge in einen Hinterhalt und wurden beschossen.

Die Arbeiterpartei PT hat Lula für die im Herbst anstehenden Präsidentschaftswahlen erneut zu ihrem Kandidaten erklärt und hält ohne Wenn und Aber an ihm fest. Vor der Entscheidung des Obersten Gerichts über seinen Antrag auf Haftverschonung hatten die Medien der Globo-Gruppe hohe aktive Militärs und Reservisten zu Wort kommen lassen, die einen Staatsstreich für den Fall propagierten, dass die Wähler über Lulas Schicksal entscheiden dürfen.

Angesichts der Lage haben sich vier weitere linke Parteien, darunter die PSOL und die Kommunisten, sowie die großen sozialen Bewegungen des Landes mit Lula und der Arbeiterpartei solidarisiert. Sie bilden nun eine gemeinsame Front zur Verteidigung der Demokratie und gegen den Faschismus. Für diesen Freitag wurde zu Protesten im ganzen Land gegen den Willkürakt von Amtsträgern aus Brasília und Curitiba aufgerufen. Die Arbeiterpartei mobilisiert insbesondere nach São Bernardo, ihren Gründungsort im Industriegürtel von São Paulo, der auch Lulas Wohnort ist. Parteivorsitzende Gleisi Hoffmann forderte über die sozialen Netzwerke dazu auf, an der traditionellen Stätte großer Kämpfe der brasilianischen Arbeiterbewegung gegen die Verfolgung des „besten Präsidenten, den Brasilien je hatte“, zu protestieren. Die gegen Lula verhängte politische Haft erinnere an die „Zeiten der Diktatur“.

Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt online, 06.04.2018, Link