Von den 3,4 Millionen Einwohnern Berlins sind fast eine halbe Million statistisch als Ausländer erfaßt. Die meisten kamen bereits vor dem Mauerfall als billige „Gastarbeiter“ in das westliche Berlin. Längst ist die zweite und dritte Generation der Arbeitsimmigranten hier zu Hause.
Im wahrsten Sinne des Wortes eine Weltstadt, sind in Berlin Menschen aus 184 Staaten bei den Behörden gemeldet, also aus fast allen der 193, welche die UNO als souverän anerkennt. Fast drei Viertel dieser Einwohner mit ausländischen Wurzeln kommen aus anderen europäischen Staaten. Sie alle tragen viel zum besonderen Flair dieser Metropole bei.
Zur Vielfalt der Stadt gehört auch ein kubanischer Mosaikstein. Etwa 1200 kubanische Bürger sind zugleich Berliner. Im Vergleich mit anderen Einwanderergruppen ist diese allerdings relativ klein. Mehr als die Hälfte der offiziell etwa 24000 Amerikaner in Berlin stammt aus den USA, vor Kuba reihen sich noch die Gemeinden von Brasilianern und Kanadiern ein. Die amtlichen Zahlen bilden sicher nicht die ganze Realität ab, da viele Immigranten aus Osteuropa und Ländern der dritten Welt ohne Papiere oder offiziellem Wohnsitz hier leben und arbeiten.
Spricht man mit Kubanern, die hier leben, heben sie die Vorzüge der Stadt hervor, ihre Vielfalt und Weltoffenheit. Doch das Leben in Berlin ist härter geworden, Arbeit, vor allem gut bezahlte, ist nur schwer zu bekommen. Auch das kühlere Klima und das Temperament der Deutschen tragen dazu bei, daß das Heimweh nach ihrer Insel wohl nie vergeht.
Auf der Suche nach kubanischen Spuren im Stadtleben finden sich etwa ein Dutzend Bars und Restaurants. In einigen davon gibt es regelmäßig Tanz und kubanische Livemusik. Vom ganzen lateinamerikanischen Spektrum Berlins machen sie indes nur einen Bruchteil aus. Einige kleine Läden haben sich auf kubanische Produkte spezialisiert, die für deutsche Kuba-Fans und die hiesigen Kubaner vor allem lebenswichtigen Rum, Zigarren und Kaffee im Angebot haben. Dazu gehört auch die TiendaCubana, die von Berlin aus über das Internet solche Waren anbietet. Die Nachfrage nach diesen kubanischen Klassikern, für ihre gute Qualität bekannt, wächst, erfahre ich dort. Für Kubaner, die in Deutschland leben, sind Läden und Lokale wichtige Treffpunkte, das typische Essen und Dinge made in Cuba ein Stück Heimat.
Ein solcher Treffpunkt befindet sich, etwas abgelegen, in einer Seitenstraße im Berliner Friedrichshain. Früher war dies ein typisches Arbeiterviertel, auch heute ist es keine feine Gegend. Viele Studenten sind hierher gezogen, die Bevölkerung ist bunt gemischt, auf der Straße sind besonders häufig romanische Sprachen zu hören. Zur „Fiesta de Solidaridad“, die jedes Jahr um den 26. Juli herum in einem nahe gelegenen Park stattfindet, strömt auch stets eine kleine Schar der hier wohnenden Kubaner.

Die winzige Bar nennt sich Cubanisimo. Sie bietet kaum Platz für ein Dutzend Gäste. Im Sommer sitzen die Barbesucher im Freien auf Bänken vor dem bunt bemalten Eingang und diskutieren etwas lebhafter und lauter, als es unter Deutschen üblich ist. An diesem Januarabend ist die Bar jedoch verwaist. Ein schlechter Monat für die Gastronomie, erklären mir Irmgard und Wolfgang, die an diesem Abend hier die Stellung halten. An der Wand hinter dem Tresen hängt das berühmte Foto, das Fidel zusammen mit Hemingway zeigt. Auch Ché ist auf einem Bild „presente“.
Irmgard stammt aus Bayern und ist mit Florentino verheiratet, der seit 1993 in Berlin lebt und als Mechaniker arbeitet. Nebenbei ist er Besitzer dieser Bar. In diesen Tagen ist er auf Heimaturlaub in Havanna. Auch Wolfgang, geborener Österreicher und naturalisierter Westberliner, lebt in einer deutsch-kubanischen Ehe. Seine Frau Miriam war in ihrem früheren Leben Verkehrspolizistin und studierte dann in der DDR Elektronik. Die meisten Stammgäste sind sogenannte DDR-Kubaner, die zum Studium oder Arbeiten kamen. Sie heirateten Deutsche oder „desertierten“ nach dem Mauerfall zusammen mit dem Land in den Westen. Auch kubanische Boxer sehen ab und zu vorbei, die bei Berliner Vereinen angestellt sind und dort nun für Geld statt Ehre kämpfen.
Irmgard und Wolfgang loben die Schönheit Kubas und die Herzlichkeit seiner Menschen. Die Kubaner seien arm, aber sehr gebildet und untereinander stets solidarisch. Deutsche würden ihre Familien nicht so unterstützen, wie dies die Kubaner täten, meint Wolfgang. Das sei auch notwendig, denn schließlich gäbe es in Kuba immer noch Lebensmittelrationen – „wie bei uns nach dem Krieg“. Obwohl dessen Regierung sicher viel Geld aus Amerika für den Stützpunkt in Guantánamo erhalte. Die Gerüchteküche im Cubanisimo ist original kubanisch: Der Chinese wäre gerade in Havanna zu Gast gewesen und sogar der russische Staatschef. Das habe es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben, berichtet der Wirt. Irgendetwas gehe vor sich mit Kuba. Genaueres weiß auch Wolfgang nicht. Dafür hat er gehört, daß die Castro-Brüder zu den reichsten Personen auf der Welt gehören sollen. Dieses Märchen, das in einer US-amerikanischen Zeitschrift erzählt wurde, kann ich ihm ausreden.
Im Nachbarbezirk Kreuzberg treffe ich Reinaldo und seine deutsche Frau Natalie. Die beiden haben 1999 geheiratet, Rei lebt nun seit fast zehn Jahren in Berlin. In Kuba hatte er zunächst als Fotograf – eine Familientradition – und Laborant für ein Sportmagazin gearbeitet. Später war er als Rettungssanitäter bei „Rescate y Salvamento“ tätig und zuletzt Tauchlehrer in der Playa de Giron. Der kubanische Staat hat ihn nach einem schweren Arbeitsunfall 1992 trotz der enorm schwierigen „Spezialperiode“ hervorragend medizinisch behandeln lassen und unterstützt, erzählt er mir. Unter seinen Berliner Freunden wären auch einige Kubaner, aber die Nationalität wäre dafür eigentlich kein Kriterium. Die meisten seiner Landsleute hier seien weiter eng mit ihrem Land verbunden. Obwohl die hiesige Presse auch unter diesen Einfluß habe. Darin stünde „dieselbe Scheiße“ über Kuba, wie im El Nuevo Herald und den anderen Miami-Blättern. Die Gesellschaft und die Regierung in seinem Land seien nicht perfekt, „aber besser als viele andere“.

Welche Veränderungen braucht Kuba am dringendsten?, möchte ich wissen. Natürlich, die Bürokratie ist fürchterlich, aber das ist sie eigentlich überall – auch in Deutschland. Die Blockade müsse weg, meint Rei schließlich. Die Selbst-Blockade, das Warten auf Veränderungen von oben. Das sei wahrscheinlich das Schwerste. Wird die Generation nach Castro den Weg der Revolution weitergehen, wird Kuba – entgegen den Erwartungen der kapitalistischen Medien – auch deren 60. Jahrestag feiern können? Rei und Natalie sind da zuversichtlich: Hoffentlich. Doch, bestimmt.
Aus: Edición especial, spanischsprachige Sonderausgabe der jW vom 04.02.2009 zur Buchmesse Havanna
die leute haben ja so recht! ich fahre seit 10 jahren nach Cuba und denke es muß sich einiges ändern,wiederum hoffe ich es bleibt wie es ist. das Cuba das ich so liebe.
vielen dank,weiter so!