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Liebe trifft auf Hass

Sie kämpfen um ihr Leben und ihre Zukunft. Mit einem öffentlichen Sitzstreik wehren sich Dutzende junge Afghanen, die Zuflucht in Schweden gefunden haben, bereits seit zwei Wochen gegen drohende Abschiebungen in ihr Heimatland. Organisiert haben sie sich über das Netzwerk „Ung i Sverige“ (Jung in Schweden). Nun haben sie sich am Rande des großen Bürgerplatzes (Medborgarplatsen) in der Hauptstadt niedergelassen. Dieser liegt im zentralen, doch weniger noblen Stadtteil Södermalm und gehört mit seinen Bars und Cafés zu einem beliebten Ausgehviertel. Die Bevölkerung hier ist bunt gemischt, viele Studenten, Künstler und Intellektuelle haben in „Söder“ ihr Zuhause.

Am Sonnabend nachmittag gesellten sich zu den Aktivisten etwa 1.000 Unterstützer. Vor der Treppe zum Bürgerhaus an einer Ecke des Platzes bildeten die Kundgebungsteilnehmer vor der Gruppe der Afghanen eine schützende Mauer. Sie schwenkten blaugelbe Landesfahnen und hielten Luftballons und Schilder hoch, die auf weißem Grund ein rotes Herz zeigten und skandierten „Liebe!“ Gefolgt waren sie einem Aufruf der Gruppe „Kämpasthlm“, die sich einem „breiten antifaschistischen Kampf in Stockholm“ verschrieben hat. Ihr Slogan galt nicht den Teilnehmern eines Handballturniers für Groß und Klein, das der Verein von Hammarby zur selben Zeit ganz in ihrer Nähe auf dem Platz abhielt.

Auf der gegenüberliegenden Seite hatte sich die Partei des Hasses, bei den Behörden nicht angemeldet, versammelt. Etwa hundert, ebenfalls Nationalfahnen schwenkende Ausländerfeinde waren erschienen. Von dort schallten herzlose Töne: „Raus mit dem Pack!“, „Keine Afghanen auf unseren Straßen“ und „Nicht noch mehr Parasiten!“ Zwei besonders üble und aggressiv auftretende Krakeeler erhielten von der Polizei einen Platzverweis. Mobilisiert wurde der rassistische Mob über eine Facebook-Seite, die sich „Steh auf für Schweden“ nennt und deren Betreiber den rechtsradikalen Schwedendemokraten nahestehen. Die Demagogen fuhren bei den Reichstagswahlen vor drei Jahren 12,9 Prozent der Stimmen ein und könnten heute nach Umfragen zweitstärkste Kraft werden. Im Aufruf hieß es, mit einer „stillen Zusammenkunft“ wolle man „Unzufriedenheit mit den Politikern, aber auch mit dem Rechtswesen“ zum Ausdruck bringen, weil diese die Aktion der Afghanen überhaupt zuließen.

thumbnail of jw_193_07-Liebe trifft auf HassBegonnen hatte der Protest von „Ung i Sverige“ am 5. August vor dem Schwedischen Reichstag. Am Tag darauf begann auf dem Mynttorget in der historischen Altstadt (Gamla Stan), keine hundert Meter vom Parlament entfernt, der Sitzstreik. Auch immer mehr Schweden kamen dorthin, um ihre Solidarität zu zeigen und um gegen die neue, härtere Linie in der Einwanderungspolitik ihres Landes zu protestieren. Die Flüchtlingsinitiative fordert, dass Politik und Einwanderungsbehörde nicht länger die Verantwortung hin und her schieben, sondern unter Berücksichtigung der unsicheren Lage in Afghanistan einen sicheren Aufenthaltsstatus schaffen und den Stopp aller Abschiebungen in das von den Taliban terrorisierte Land verfügen. Wer dorthin zurückkehre, den erwarteten „Gewalt, Menschenhandel und Obdachlosigkeit“. An seinem ersten Standort war der Sitzstreik wiederholt Ziel rassistischer Übergriffe gewesen. Besonders übel war eine Attacke der schwedischen Neonazigruppierung „Nordische Jugend“ mit Feuerwerkskörpern am 8. August.

Im Juni 2016 hatte der Schwedische Reichstag, beeindruckt von der sogenannten Flüchtlingskrise, das bis dahin geltende Asylrecht drastisch eingeschränkt. Wer vor Kriegen und Konflikten floh und nicht unter die UN-Flüchtlingskonvention fällt, hat nun deutlich schlechtere Karten, bleiben zu dürfen. Nach einem aktuellen Report der UN-Hilfsmission für Af­ghanistan UNAMA hat sich die Menschenrechtslage dort im ersten Halbjahr 2017 dramatisch weiter verschlechtert. Anschläge der Taliban fordern immer mehr Tote und Verletzte unter Zivilisten. Schwedens Amt für Migration sieht hingegen nicht alle Provinzen Afghanistans als unsicher an. Die Regierung in Kabul hat mit der EU ein Flüchtlingsabkommen vereinbart, welches ein milliardenschweres Hilfspaket an eine Rücknahme nach Europa eingereister Flüchtlinge koppelt und Abschiebungen in das Land am Hindukusch erleichtert.

Von Peter Steiniger. Veröffentlicht in: junge Welt, 21.8.2017, Seite 7, Link