Den ÖPNV kennt jeder, nicht so den ÖBS. Der erstere ist real erfahrbar. Zum „öffentlich geförderter Beschäftigungssektor“ ist der Weg noch weit. Daß die Idee noch keine Massen ergreifen konnte, liegt nicht nur an dem schönen deutschen Wortungetüm. Wohl eher daran, daß der Mainstream und die tonangebenden Medien nach wie vor wie das Kaninchen vor der Schlange auf den ersten Arbeitsmarkt starren. Nur das Kapital soll für Arbeit sorgen. Alternativen, Experimente? Nicht gewünscht. Wirtschaftsliberale verstehen unter öffentlich geförderter Beschäftigung bestenfalls den Kombilohn.
Lebenslügen geplatzt
Die bundesdeutsche Arbeitsmarktpolitik lebt mit und von der Lüge, keine Arbeitsplätze schaffen zu können. Sie sei lediglich dazu gedacht, die Menschen fit zu machen, bei ihnen Defizite abzubauen, damit die Arbeits-Looser für die freie Wirtschaft wieder begehrenswert würden. Auch bei den Hartz-Reformen wurde darauf geachtet, daß die „stille Reserve“ nicht zur Ruhe kommt. Doch die Brücken zum ersten Arbeitsmarkt führen für Millionen Menschen nur noch in Luftschlösser.
Der zweite kontraproduktive Ansatz zielt auf einen weiteren Makel menschlicher Arbeitskraft – ihren Preis. Auch das Drehen an dieser Justierschraube hat der Massenarbeitslosigkeit nicht das Geringste anhaben können, im Gegenteil. Autos kaufen noch immer keine Autos, wie bereits von Henry Ford vorausgesagt. Als Aldi- oder Lidl-Konsumenten wird von den Verbrauchern selbst Druck auf ihre Arbeitskosten erzeugt. Die Effekte des Wirtschaftswachstums werden lässig von Rationalisierungen in den Unternehmen kompensiert, steigende Gewinne werden von wenigen eingestrichen und reinvestiert – in den Kasinokapitalismus.
Paradigmenwechsel nötig
Als alternative Idee zirkuliert ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor schon etliche Jahre. Arbeitsloseninitiativen und gewerkschaftliche Kreise machen sich dafür stark. An theoretischen Vorarbeiten mangelt es nicht; insbesondere die PDS-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung (www.rosalux.de) hat viel dazu beigetragen.
Der ÖBS unterscheidet sich dabei grundlegend von den bisherigen geförderten Beschäftigungsformen im zweiten Arbeitsmarkt. Diese unter verschiedenen Namen und in zig Varianten auftauchenden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind, obwohl de facto längst eine Dauererscheinung, meist für kurze Zeiten und auf benachteiligte Gruppen ausgerichtet und haushaltspolitischen Schwankungen ausgesetzt. Sie sind nie vollwertige Beschäftigungsverhältnisse, die den Interessen und Befähigungen der dort Arbeitenden Rechnung tragen. Arbeitnehmerrechte sind empfindlich eingeschränkt.
Dagegen strebt der ÖBS vollwertige, gesellschaftspolitisch akzeptierte Arbeit mit regulären Beschäftigungsverhältnissen an. Aus einer vielfältigen Projektelandschaft, aus Genossenschaften und gemeinnützigen Unternehmen soll ein neuer Sektor zwischen Staat und Markt entstehen, der dauerhaft öffentlich gefördert wird. In Mecklenburg-Vorpommern wurden in sogenannten gemeinwohlorientierten Arbeitsförderprojekten (GAP) bereits Elemente des ÖBS mit ein paar hundert Beschäftigten erprobt. Kein Durchbruch, aber immerhin ein Paradigmenwechsel im kleinen Rahmen.
Linkspartei und WASG haben den ÖBS als ein zentrales Projekt in ihren politischen Strategien für die laufende Wahlperiode und die kommenden Wahlkämpfe deutlich herausgestellt. Linksfraktionschef Oskar Lafontaine sieht die Ideen zu einer grundlegenden Alternative zum herrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodell auf dem Tisch liegen. Die Linke müsse nun ihre Oppositionsrolle auch ausfüllen. Hartz IV soll weg und ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor her. Mindestlöhne wären auch auf diesem Feld eine Voraussetzung, um Arbeit armutssicher zu machen.
Um glaubwürdig für einen ÖBS streiten zu können, wird die Linke um die Frage ihres Verhältnisses zur Privatisierung von öffentlichem Eigentum nicht herumkommen. Schon jetzt kann sie sich bei der Verteidigung eines hundertprozentigen ÖBS hervortun – dem öffentlichen Dienst.
Von Peter Steiniger. Quelle: https://www.jungewelt.de/2006/04-21/036.php