Der Zusammenstoß war gewollt. Er war die logische Folge einer kompromisslosen, auf Provokation gerichteten Politik der Volkspartei-Regierung in Madrid. Die Polizeiknüppel und Gummigeschosse, welche die Katalanen an diesem Sonntag zu spüren bekamen, waren nicht nur an sie adressiert. Ministerpräsident Mariano Rajoy schwingt die Peitsche, um fester im Sattel zu sitzen. In diesem hatte er sich nach dem Debakel seines Partido Popular (PP) 2015 gerade noch halten können. Mit deren Korruptionsskandalen und ihrem Rotstift bei den Leistungen für „kleine Leute“ lässt sich kaum punkten, mit der nationalen Karte schon. Dabei kommt die autoritäre Seite des postfranquistischen Spanien deutlich zum Vorschein. Um es mit härterer Hand führen zu können, reitet Rajoy sein Land immer tiefer in den Konflikt mit dem nordöstlichen Landesteil.
Für ein solches Kalkül spricht, dass Kataloniens Unabhängigkeitsbefürworter für ihr Projekt keineswegs über eine gesicherte Mehrheit unter den Einwohnern der autonomen Gemeinschaft, von denen viele Wurzeln in anderen Teilen Spaniens haben, verfügen. Mit ausreichend Angstmache vor den ökonomischen Folgen wäre eine Abspaltung wohl auch ohne Machtdemonstrationen abzuwenden gewesen. Ihren Aufschwung seit einem Jahrzehnt verdankt die Bewegung vor allem der Krise, in die Spaniens Wirtschaft steuerte. Die EU-gelenkte Politik der sozialen Spaltung, mit der ihr Madrid begegnete, stärkte das Gefühl „Rette sich, wer kann!“
Als historisch gebrannte Kinder reagieren die Katalanen, deren Rückbesinnung auf die eigene Kultur im 19. Jahrhundert begann, auf Diktate aus Madrid zu Recht allergisch. Dass ihnen dort die PP 2010 ein erweitertes Autonomiestatut wegklagte, legte Feuer. Mit dem repressiven Vorgehen der Zentralregierung gegen das Referendum, das so kaum zu einem transparenten Ergebnis führen kann, wurde dieses weiter angefacht. Als illegal betrachtet Madrid die Abstimmung, weil Spanien nach der Verfassung von 1978, die dem Land samt Franquisten ein sanftes Hinübergleiten in die parlamentarische Monarchie erlaubte, „unteilbar“ sei.
Das Selbstbestimmungsrecht gilt nur für unterdrückte Nationen? Armes Schottland, armes Quebec! Auch die Katalanen wollen auf die gnädige Zuteilung von Demokratie nicht warten, und die dort regierende Allianz Junts pel Sí will mit Madrid von Macht zu Macht verhandeln. Dass ihr Projekt in eine progressive Richtung führen würde, ist trotz Beteiligung linker Kräfte nicht ausgemacht. Die Liberalen, die die Regionalregierung führen, waren in der Vergangenheit dafür jedenfalls nicht bekannt. Und dass die EU und die NATO ein freies Katalonien von der Leine lassen würden, ist nur eine schöne Illusion. Für eine echte soziale Alternative werden alle Völker Spaniens gebraucht. Der faktische Ausnahmezustand und die Beschneidung von Freiheiten rund um Barcelona ist eine Warnung an die Linkskräfte im ganzen Land.