Die israelisch-schwedischen Beziehungen sind belastet. Nach der Sitzung des israelischen Kabinetts am Sonntag forderte Premier Benjamin Netanyahu von Schwedens Regierung die Verurteilung eines Beitrags in der Boulevardzeitung Aftonbladet. Der Artikel vom 17. August berichtete vom Verdacht des Organraubs bei getöteten Palästinensern.
Israels Führung schlug daraufhin harsche Töne an. Isaac Herzog, Minister für Soziales, erklärte, daß ein solcher „Akt des Antisemitismus“ nicht hinnehmbar sei. „Wer nicht bereit ist, eine solche Verleumdung unseres Blutes zu verurteilen, kann als in Israel unerwünscht angesehen werden“, zitiert ihn die liberale Haaretz. Ein für September geplanter Besuch des schwedischen Außenministers Carl Bildt scheint nun fraglich. Daß Schweden für das zweite Halbjahr 2009 die EU-Ratspräsidentschaft innehat, hebt den Konflikt auf eine höhere Ebene.
Auch im Königreich schlagen die Wellen hoch. Von einer „Großoffensive gegen Schweden“ und einem „Krieg der Worte“ ist in den Medien die Rede. Während Staatsminister Fredrik Reinfeldt die in der Verfassung verankerte Pressefreiheit betont, äußerte Schwedens Botschafterin in Tel Aviv, Elisabeth Borsiin Bonier, unautorisiert Verständnis für die israelische Position. Bildt eröffnete in seinem privaten Blog einen halboffiziellen Nebenkanal, in dem er sich von dem Artikel distanziert. Schweden bekämpfe Antisemitismus wie Islamfeindlichkeit. Nach dem dänischen „Karikaturenstreit“ ist man gewarnt. Indes gießt das israelische Presseamt weiter Öl ins Feuer und will künftig die Arbeit von Aftonbladet-Reportern behindern.
Viel Lärm um was? Unter dem Titel „Unsere Söhne wurden ihrer Organe beraubt“ bezog sich der Journalist Donald Boström auf einen Transplantationsskandal, der momentan in den USA Schlagzeilen macht. Dort ist Mitte Juli Levy Itzhak Rosenbaum FBI-Undercover-Agenten ins Netz gegangen – als Beifang unter 44 Politikern, einigen Beamten sowie fünf Rabbies aus New Jersey und New York, denen Geldwäsche und Korruption angelastet wird. Rosenbaum bezeichnet sich als einen „Kuppler“, spezialisiert auf die illegale Beschaffung von Nieren. Seit zehn Jahren will er mittellosen Israelis für 10000 Dollar Organe abgekauft, und diese für bis zu 160000 Dollar in die USA vermittelt haben.*
Boström berichtete nun über illegale Transplantationen in Israel und brachte eine Organspendenkampagne des damaligen Gesundheitsministers Ehud Olmert mit den Verbrechen der Besatzer während der Intifada 1992 in Verbindung. Damals „verschwanden junge palästinensische Männer, die man fünf Tage später während der Nacht in ihre Dörfer zurückbrachte, tot und aufgeschlitzt“. Er schilderte regelrechte Hinrichtungen von „Steinewerfern“ durch israelische Scharfschützen in der Westbank und in Gaza. Geöffnete und chirurgisch wieder verschlossene Leichname hätten bei Angehörigen keinen Zweifel gelassen, daß Organraub im Spiel gewesen sei.**
Boström kann die von ihm aufgestellten Hypothesen allerdings nicht beweisen. Bindeglieder zwischen dem von ihm beschriebenen Organraub und dem Fall Rosenbaum fehlen gänzlich. Derweil nutzt Israels Rechtsregierung die „Aftonbladet-Affäre“, um sich mit Antisemitismusvorwürfen gegen Kritik an ihrer antipalästinensischen Politik zu immunisieren.
Von Peter Steiniger. Quelle: https://www.jungewelt.de/2009/08-26/039.php
Anmerkungen/Verweise:
*Im Originalartikel in Aftonbladet vom 17. August behauptet Donald Boström, das aufgedeckte internationale Geldwäschenetzwerk insgesamt hätte mit dem illegalen Organhandel zu tun. (…) „Tio dagar senare, i slutet på juli i år arresterades Rosenbaum i samband med att en stor korruptionshärva avslöjades i New Jersey: rabbiner, folkvalda och betrodda tjänstemän hade i åratal sysslat med pengatvätt och illegal organhandel, vilket nu rullades upp likt ett Sopranos nätverk.“
Vgl.: Våra söner plundras på sina organ
In den New Jersey Real-Time News vom 24. Juli (N.J. corruption probe includes first organ trafficking case) war zu lesen, daß allein Rosenbaum des illegalen Organhandels (Conspiracy to transport human organs) beschuldigt wird. „The politicians and rabbis were not accused of involvement in the organ trafficking.“
In der nun vorliegenden englischsprachigen Übersetzung des Boström-Artikels bei Tlaxcala wurde folgende Formulierung gewählt: „Ten days later, at the end of July this year, Rosenbaum was arrested and a vast, Sopranos-like, imbroglio of money-laundering and illegal organ-trade was revealed.“
Vgl.: „Our sons plundered for their organs“
** Yigal Palmor, Sprecher des israelischen Außenministeriums, gibt im Interview mit Aftonbladet an, daß die israelische Seite während der Intifada Obduktionen bei getöteten Palästinensern routinemäßig vorgenommen habe, um die Todesursache eindeutig zu ermitteln. Einen Anlaß, wegen des Verdachts auf illegalen Organraub zu ermitteln, sieht er nicht. ’Vi obducerar – det är rutin’ (23.08.)