Rui Costa Pimenta ist Vorsitzender der trotzkistischen Partei der Sache der Arbeiter PCO (Partido da Causa Operária)
Sie befinden sich derzeit auf einer Vortragsreise durch Europa. Sie sprechen dabei Themen aus Ihrem demnächst erscheinenden Buch („Der Staatsstreich in Brasilien – Bilanzen und Perspektiven“) an. Warum sprechen wir hier von einem Putsch?
Es ist eine Tatsache, dass unsere politische Ordnung durch den Putsch 2016 eingerissen wurde. Seit den von den großen Medien manipulierten Protesten 2013 warnte meine Partei davor, dass die Rechte einen solchen vorbereitet und führte eine kämpferische Kampagne gegen diesen Überfall. Der war nicht so offensichtlich wie damals bei den Militärs (während der Diktatur von 1964–1985, jW) und beim Konstitutionellem Akt von 1967. Doch die Verfassung zählt nicht mehr. Das Oberste Gericht selbst ignoriert sie. Wäre das nicht so, bräuchten wir nicht darüber zu diskutieren, ob Lula Kandidat zu den Präsidentschaftswahlen im Oktober sein kann oder nicht. Unter der jetzigen Temer-Regierung wird das Land ausverkauft. Der Angriff auf die Rechte der Arbeitenden ist beispiellos. Es geht mir darum, im Ausland vielen Menschen klarzumachen, was in Brasilien vor sich geht. Weiterhin soll damit die Kampagne für die Befreiung unseres früheren Präsidenten weiter vorangebracht werden.
Sie gehörten seit der Gründung 1980 Lulas Arbeiterpartei PT an, bevor Sie mit der PCO Ihren eigenen Weg gingen, der auf revolutionäre Politik setzt. Wie schätzen Sie die PT heute ein?
Alle Parteien auf der Linken, einschließlich PT und Kommunisten, sind in ideologischen und taktischen Fragen gespalten. Viele glauben, die PT wäre eine Art SPD auf Brasilianisch. Doch das stimmt so nicht. Weil die PT eine noch junge, flatterhafte Partei ist. Die hiesige Bourgeoisie hat sich dazu entschlossen, diese Partei zu eliminieren, und ihr zu verbieten, ihren Kandidaten aufzustellen. Doch abgesehen von ihrer parlamentarischen Aktivität, hat die Arbeiterpartei ein großes Hinterland. Dazu gehören die Landlosen des MST, die Zentrale CUT aus 4.000 Gewerkschaften, weitere enorme soziale Bewegungen. Das lässt sich nicht einfach eliminieren. Selbst die Komitees für Lulas Freiheit bei Ihnen in Deutschland sind keine Aktion des politischen Apparates der PT. Sie stehen in Beziehung zur Arbeiterpartei, sind aber unabhängig.
Die Regierung ist unpopulär, der Präsident ist tief in Skandale verstrickt. Dennoch scheint sie viele Leben zu haben. Wie sollten die linken Kräfte jetzt agieren?
Anfang Juni hatten wir den großen landesweiten Streik der Lkw-Fahrer. Dieser Streik, obwohl politisch völlig konfus, trieb die Regierung von Michel Temer in die Enge und wurde von großen Teilen der Bevölkerung unterstützt. Er zeigte deutlich die Kraft der Straße auf. Die Bourgeoisie und ihre kapitalistische Presse reagierten besorgt. Sie wissen, dass diese Regierung faktisch tot ist. Das Land befindet sich in einer tiefen ökonomischen und sozialen Krise. Das birgt auch Chancen für Alternativen. Es ist festzustellen, dass sich seit dem Sturz von Dilma Rousseff eine große Entwicklung im Denken vieler Menschen vollzogen hat. Sie waren gezwungen, ihre Haltung zu überdenken. Ein Reflex darauf ist auch eine größere Resonanz für meine Partei. Faktisch die gesamte Bevölkerung lehnt heute die Regierung ab. Nicht einmal während der Diktatur gab es eine so kritische Situation für die Machthaber.
Auf welchem Wege könnte ein solcher Wechsel erzwungen werden?
Die Bourgeoisie selbst möchte Temer loswerden, denn sie fürchtet, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Die Aufgabe der Linken besteht darin, einen Generalstreik zu organisieren. Mit den brasilianischen Gewerkschaften ist das allerdings eine komplizierte Angelegenheit. Die eine ist dafür, die andere dagegen, die nächste hat sich noch nicht festgelegt. So schleppt sich die Sache hin. Die Aktivisten der Basis müssen Druck ausüben. Der Generalstreik ist möglich, der Fahrerstreik machte das deutlich. Treten einige Millionen in den Streik, hält dem diese Regierung nicht stand.
Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 24.04.2018, Seite 8/ Ausland, Link