
Bei der Absetzung von Staatschefin Dilma Rousseff bediente sich Parlamentspräsident Eduardo Cunha auch des Blocks der Evangelikalen (Abgeordnete feiern die Eröffnung des Impeachments, Brasília, 17.4.2016, Foto: Marcelo Camargo/Agência Brasil)
Mit Brasilien hat sich der Schöpfer von Himmel und Erde besonders viel Mühe gegeben, es mit Naturreichtümern aller Art gesegnet. Das südamerikanische Land erstreckt sich von den Tropen bis in die gemäßigte Klimazone. Der größte Teil Amazoniens, mit dem riesigen Flusssystem und Regenwäldern, in denen es von Arten nur so wimmelt, befindet sich auf seinem Territorium. In den fruchtbaren Ebenen Südbrasiliens gedeiht alles, was der Mensch braucht, nicht nur das „schwarze Gold“, der Kaffee. Und unter brasilianischer Erde liegen Smaragde, Gold und Silber und große Vorkommen an Kohle und Erz, selbst im Meeresboden vor seiner Küste verbergen sich gewaltige Mengen Öl und Gas.
Für die mehr als 200 Millionen Menschen, die Brasilien bewohnen, könnte ihr Land ein wahres Paradies sein. Davon sind die Lebensbedingungen der meisten allerdings weit entfernt, die sozialen Unterschiede sind enorm. Das ist, ebenso wie die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung, vor allem Produkt der gewaltsamen Eroberung und Kolonisierung, eines Sklavenhaltersystems, das bis heute nachwirkt. Im Schmelztiegel Brasilien erhielt sich die Ungleichheit, aber auch eine große kulturelle und religiöse Vielfalt. Zu Recht gilt der Föderationsstaat zwar als katholisches Land – die Christusstatue auf dem Berg Corcovado in Rio ist dafür ein Sinnbild. Neben der „heiligen Mutter Kirche“ bedienen Tausende Sekten die spirituellen Bedürfnisse, trösten über das irdische Jammertal hinweg. Dabei geht es, wie in der Musik, tropical zu: Vielfach vermischen sich die verschiedenen Glaubensbekenntnisse. Besonders augenfällig ist das bei beim Candomblé, der seine Wurzeln in Westafrika hat und Elemente der christlichen Religion adoptierte.
Mächtig im Kommen
Hinweise auf Glaube, Liebe, Hoffnung sind im Alltag überall präsent. Links und rechts der Straßen werben Gotteshäuser um Besucher. Hunderte von religiösen Rundfunk- und Fernsehsendern missionieren rund um die Uhr. Gegenüber den Katholiken rasant an Boden gewinnen dabei die Evangelikalen, eine religiös intolerante und besonders „bibeltreue“ Strömung innerhalb des Protestantismus, und die ihnen nahestehende Pfingstbewegung. Nach einer Erhebung des brasilianischen Instituts Datafolha bezeichnet sich mittlerweile ein knappes Drittel aller Brasilianer als evangelikal. 1991 war es noch nicht einmal jeder zehnte. Zum Erfolg dieser Anbieter – in ganz Lateinamerika – haben Freikirchen aus den USA mit ihren Ressourcen erheblich beigetragen. Die Assembleia de Deus („Kirche der Versammlung Gottes“) zählt in Brasilien mittlerweile mehr als 22 Millionen Seelen. Zu den Großen im Geschäft gehört die „Universalkirche des Königreichs Gottes“ (IURD), die mit ihren Anhängern eine Art Ablasshandel betreibt und materiellen Reichtum als Liebesbeweis des Herrn im Himmel verkauft. Ihren mittlerweile milliardenschweren Gründer Edir Macedo hat ein solcher jedenfalls ereilt. Seine Kirche expandiert längst weltweit, vor allem in Afrika breitet sie sich aus.
Parallel zu dieser Entwicklung hat sich der Einfluss der Evangelikalen auf die Politik ausgeweitet, sie bestimmen die Wertedebatte in der Gesellschaft immer stärker mit. Im Nationalkongress, dem Zweikammerparlament, haben sich ihre Vertreter zu einer mächtigen Lobby zusammengeschlossen. Dieser bediente sich der damalige Parlamentspräsident Eduardo Cunha von der PMDB, ein Mann der Assembleia de Deus, 2016 beim Strippenziehen zum Sturz von Staatschefin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei PT per Amtsenthebungsverfahren. Bei der Abstimmung über dessen Einleitung fehlte es Abgeordneten der rechten Parlamentsmehrheit nicht an pathetischen Berufungen auf Gott. Wenig später brachten Cunha seine schwarzen Konten in der Schweiz in den Knast. Doch sein Parteifreund Michel Temer gelangte an die Macht und vollzog in Brasilien eine neoliberale Wende. In ihren Kampagnen zu den jetzt im Oktober anstehenden Wahlen suchen vor allem Bewerber aus dem rechten Lager die Nähe evangelikaler Führer, tingeln durch die Kultstätten.
Weltliches Machtzentrum
Dorthin begab sich am 3. September der Präsidentschaftsaspirant der extremen Rechten, Jair Bolsonaro, um mit dem Vizechef des Unternehmens, João Roberto Marinho, in dessen Familienalbum zu blättern. Anderthalb Stunden dauerte die vertrauliche Unterredung, die Bolsonaros wirtschaftspolitischer Berater, Paulo Guedes, vermittelt hatte. Bislang hatte Bolsonaro das Medienhaus gern in Trump-Manier abgewertet, seine Anhänger verpassten Globo gar das Prädikat „kommunistisch“, weil es ihren rassistisch, frauenfeindlich und homophob pöbelnden Heiland nicht gebührend in den Himmel hob.
Im Dienst der Militärdiktatur (1964–1985) stehend, der Bolsonaro weiter anhängt, wuchs Globo zum Mediengiganten heran. Heute ist der 1925 gegründete Konzern in ganz Lateinamerika aktiv. Und bis jetzt wird er von einem Familienclan, der auf den Zeitungsbesitzer Irineu Marinho zurückgeht, kontrolliert und geführt. Politiker selbst in den höchsten Ämtern, besonders wenn sie nicht dem konservativen Lager angehören, müssen die Macht der Marinhos fürchten. Diese setzen Globo als Interessenvertretung jener, die von Geldvermehrung leben, gezielt ein.
Als die von den Finanzmärkten ausgehende Krise Brasilien erreichte, kündigten diese Eliten den in der Lula-Ära eingegangenen Burgfrieden – die Hinnahme einer Machtteilung im Rahmen der formellen Demokratie auf der Basis der Verfassung von 1988 – auf. durch die Milliarden verschlingenden Prestigeobjekte Fußball-WM 2014 und Olympia 2016 in Rio und die unsozialen und repressiven Maßnahmen, die sie begleiteten, bot die Regierung offene Flanken. 2013 begann Globo, Brasilien politisch zu destabilisieren. Seine Medien riefen die Mittelschichten zu Protesten gegen die Rousseff-Regierung auf die Straße. Moralistisch wurde dort die Korruption angeprangert, die Linke systematisch diskreditiert. Gleichzeitig traten verdeckt finanzierte Gruppen auf den Plan, die seitdem in den sozialen Medien massenhaft Desinformationen und antikommunistische Paranoia verbreiten. Bolsonaro ist ein Zauberlehrling in diesem Prozess.
Trotz der rechten Kampagnen konnte der PT 2014 mit Rousseff die Wahl knapp gewinnen. Nicht nur beim dann folgenden kalten Putsch hatte Globo die Hand im Spiel. Ebenso bei der Inszenierung, die Lula im April 2018 ins Gefängnis brachte. Am 7. September wurde Bolsonaro, der wenige Tage vorher verkündigt hatte, „die PT-Bande erschießen“ zu wollen, bei einem Wahlkampfauftritt mit einem Messer attackiert – genau einen Monat vor dem Urnengang. Der evangelikale Prediger und Senator Magno Malta – enger Verbündeter – eilte in die Klinik, um mit dem Verletzten zu beten. Auf Twitter teilte Malta ein Foto, das den mutmaßlichen Täter mit Lula zeigen soll, aber eine Fälschung ist. Einen Besuch stattete auch der evangelikale Kirchenführer und TV-Prediger Silas Malafeia ab, um Gott dafür zu danken, dass Bolsonaro weiter auf dieser Erde wandelt. TV Globo berichtete ganz groß.
Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Religion und Politik, Beilage der jW vom 12.09.2018, Seite 7, Link