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Gruselkabinett

Die neuen Machthaber in Brasília verlieren keine Zeit. Endlich geht es der Korruption an den Kragen. Ermittlungen gegen mehrere führende Politiker aus dem rechten Lager wurden ruckzuck eingestellt. Erledigt. Sieben Minister der Regierung Temer, die im Verdacht stehen, Schmiergelder kassiert zu haben, schützt nun ohnehin Immunität.

Von den „Coxinhas“, den Möchtegernbourgeois aus der weißen Mittelklasse, die seit der für die Rechte verlorengegangenen Präsidentschaftswahl 2014 regelmäßig auf der Straße gegen die Arbeiterpartei PT lärmten, weil allein diese angeblich die Korruption über das Land gebracht habe, ist weit und breit nichts mehr zu sehen. Dabei hätten auch sie nun, da die kommunistische Bedrohung gebannt scheint und eine Zwangsvereinigung mit Kuba und Venezuela erst mal ausfällt, reale Gründe, sich zu fürchten. Doch die von den Konzernmedien verhetzten Yuppies sind kollateral betroffen, wirklich im Visier stehen die organisierte Linke und die ärmeren Schichten.

UnbenanntDem radikalen außenpolitischen Kurswechsel entspricht nach innen eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes, also die weitere Entrechtung Arbeitender. Der neue Finanzminister Henrique Meirelles, unter Lula da Silva, dem Vorgänger der suspendierten Präsidentin Dilma Rousseff, Zentralbankchef und eine Symbolfigur für dessen zeitweiligen Burgfrieden mit dem Kapital, möchte ein rigoroses Sparprogramm durchziehen. Nicht bei seinesgleichen, versteht sich. Dem öffentlichen Sektor in der Wirtschaft soll es an den Kragen, „Partnerschaften“ mit dem privaten Kapital sollen neue ergiebige Schürffelder für notorisch korrupte Eliten erschließen. Die gut funktionierende staatliche Post, Energieversorger und Versicherer stehen zum Ausverkauf. Einschnitte drohen bei den Renten, Steuererhöhungen sind wahrscheinlich. Gesundheitsprogramme für die Bevölkerung werden eingestellt, das Kultur- und das Gleichstellungsministerium sind bereits liquidiert. Tausende Entlassungen bei Bundesbehörden werden vorbereitet. „Aus Kostengründen“, heißt es. Tatsächlich geht es um eine politische Säuberung im großen Stil.

Die Regierung, die Michel Temer nach dem institutionellen Staatsstreich installierte, ist selbst für eine in weiten Teilen konservativ geprägte Gesellschaft ein Anachronismus und passt eher nach Saudi-Arabien. Zwei Dutzend weiße, reiche Patrone aus dem alten Filz wollen ohne Mandat ein multiethnisches, kulturell, spirituell und sozial vielfältiges Riesenland regieren. Frauen leben dort übrigens auch. Der Arbeitsminister ein Sektenprediger, die Justiz in den Händen von Alexandre de Moraes, einem Freund der Polizeigewalt – das spricht für sich. Putschisten wollen sie nicht genannt werden und bis 2018 das Ruder festhalten. Doch der Widerstand wächst täglich. Temer und Konsorten sollten öfter auf die Uhr schauen. Der Müllhaufen der Geschichte erwartet sie bereits.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 16.05.2016, S. 8, Link

1 Gedanke zu „Gruselkabinett“

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