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Portugal steht still

Es sollte ein starkes politisches Signal werden, und die Rechnung ging auf: Am Mittwoch erlebte Portugal den größten Generalstreik seiner Geschichte. Der öffentliche Verkehr kam weitgehend zum Erliegen, die Häfen blieben dicht und der Müll blieb liegen, an zahlreichen Schulen wurde nicht unterrichtet. Gestreikt wurde in Krankenhäusern, Banken und Me­dien. Weder die bei Lissabon-Touristen beliebte Tramlinie28 noch die Metros von Porto und Lissabon fuhren. „Wartezeit 76 Minuten“ war Mittwoch früh an der Bushaltestelle Alameda im Zentrum der Hauptstadt zu lesen. An den Flughäfen wurden fast alle Flüge gestrichen, der Airport des Ferienorts Faro wurde gleich ganz geschlossen.

Der Ausstand unter der Losung „Gegen die Ungerechtigkeiten – für einen Politikwechsel“ – einen solchen fordern auch Kommunisten und Linksblock – richtete sich gegen das Austeritätsprogramm der sozialistischen Regierung. Am Freitag soll der neue Haushalt in der Assembleia da República, dem portugiesischen Parlament, verabschiedet werden. Die PS-Minderheitsregierung von Premier José Sócrates zählt dabei auf die größte Opposi­tionspartei PSD. Geplant ist ein Zangengriff in die Taschen der kleinen Leute. Besonders betroffen sind die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit Lohnkürzungen von fünf bis zehn Prozent. Die Mehrwertsteuer wird erneut angehoben und liegt dann bei 23 Prozent.

Hochzufrieden mit der Streikbeteiligung zeigten sich die Spitzen des größten Gewerkschaftsverbandes CGTP-Intersindícal und seiner kleineren Schwesterorganisation União Geral de Trabalhadores, UGT. Erstmals seit 22 Jahren hatte die der Sozialistischen Partei nahestehende UGT wieder mit zu einem Generalstreik aufgerufen. Ein Indiz für den Grad an Empörung in der Bevölkerung. Mehr als ein Jahrzehnt währt die Wirtschaftsflaute am Tejo, mit sinkender Massenkaufkraft und einer Arbeitslosenquote, die offiziell auf elf Prozent gestiegen ist. Strukturelle Probleme blieben ungelöst, das Bildungssystem hinkt zurück. UGT-Generalsekretär João Proença bezeichnet den Haushaltsplan als einen „Schlag in das Gesicht der Bevölkerung“. Bei soviel Brutalität will auch die UGT nun Gesicht wahren: „Wir lassen uns von der Regierung nicht bestechen, diese sozialen Grausamkeiten mitzutragen.“

Sócrates wirbt derweil andernorts um Vertrauen. Das „Sparprogramm“ soll beruhigend auf die internationalen Finanzmärkte wirken, bei denen das Land in der Kreide steht. Seit dem Frühjahr wurde Portugals Kreditwürdigkeit von Ratingagenturen immer wieder zurückgestuft. Seine gebeutelten Landsleute fordert der Premier seit Monaten zu patriotischer Opferbereitschaft auf, um die „internationale Glaubwürdigkeit“ zu behaupten. Denn erheblicher Druck kommt auch von der Euro-Gruppe, welche über die Wirtschafts- und Währungsunion wacht. Nach Griechenland und Irland könnte Portugal der nächste Dominostein in Euro-Land werden. Gegenüber der EU-Kommission verpflichtete sich Portugal, sein 2009 auf 9,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gestiegenes Staatsdefizit – das vierthöchste in der Eurozone – zügig zurückzufahren.

Portugals Regierende üben sich trotz des Generalausstandes in gewohnter Ignoranz. Arbeitsministerin Helena André sieht bei den Sparplänen „keinerlei Spielraum“. CGTP-Chef Carvalho da Silva ist davon überzeugt, daß der Protest weiter zunimmt. Und der Streik werde der Regierung „noch lange im Ohr nachhallen“.

Von Peter Steiniger und Martin Lejeune, Lissabon. Veröffentlicht in junge Welt, 25.11.2010, Nr.276, https://www.jungewelt.de/2010/11-25/059.php

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