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Generalangriff auf die Linke

In Brasilien geht es jetzt Schlag auf Schlag. Auf die Mobilmachung der weißen Bessergestellten gegen die Regierung, von den Globo-Medien als historisch inszeniert, folgt der Angriff auf den Palácio do Planalto. Im Parlament treibt eine Kommission die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff voran. Die Vorwürfe – geschönte Haushaltszahlen, schwarze Wahlkampfkassen – sind dabei nur Vorwand für die „Korrektur“ des Ausgangs der Wahl 2014.

Es ist auch eine Flucht nach vorn, etliche Kommissionsmitglieder sind in Korruptionsskandale verwickelt, angefangen bei ihrem Vorsitzenden Eduardo Cunha, auch Präsident der Abgeordnetenkammer. Diese wird von der Opposition und von Lobbys beherrscht, durch die verbündete PMDB, eine Mehrheitsbeschafferpartei des institutionalisierten Opportunismus, geht ein Riss. Die Präsidentin des größten Landes Südamerikas nennt das Verfahren „illegal und kriminell“, einen Staatsstreich.

Es droht mehr als eine taktische Niederlage der linken und demokratischen Kräfte Brasiliens. Mehr noch als Dilma steht der historische Führer der Arbeiterpartei Lula da Silva im Visier des Komplotts von Eliten, Justizkreisen und Medien. Lulas öffentliche Kriminalisierung ohne Grundlage, die Veröffentlichung abgehörter Telefonate, die Blockade seines Eintritts in die Regierung durch einen rechten Richter, die Lügenstory über seine bevorstehende Flucht nach Italien im Magazin Veja sind Teile einer Strategie, um die PT zu „köpfen“ und sie faktisch aus dem politischen Leben Brasiliens zu drängen.

Die zahlreichen Kompromisse mit der Rechten haben sich für diese Partei nicht ausgezahlt. Viel moralisches Kapital ging beim politischen Spiel nach schmutzigen Regeln verloren. Der Rotstift der Regierung als Antwort auf die Rezession schürt die Unzufriedenheit. In ihrer schwersten Krise muss die PT den Kurs ändern und wieder zurück zu ihren Wurzeln: den Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und kirchlichen Basisgemeinden. Hunderttausende organisieren sich bereits, gehen gegen die Demokratiefeinde auf die Straße. Hier prallen Brasiliens zwei Welten aufeinander. Abseits steht die Masse der ärmsten Brasilianer. Für die zählen die Alltagssorgen, Politik bleibt da eine Sache der Privilegierten. Die Sozialprogramme der Regierungen von Lula und Rousseff haben zwar Millionen aus dem materiellen Elend erlöst und als Konsumenten in den Markt eingegliedert. Doch politisches Bewusstsein hat hier wenig Tradition und wächst nur langsam. Bei einem Sturz von Rousseff bliebe offen, ob der konservativen Opposition die Macht bequem in den Schoß fiele. Die Geister sind aus der Flasche, auch rechte Populisten sehen ihre Stunde gekommen.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 29.03.2016, S. 3, Link

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