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Sensibelchen des Tages: Roberto Freire

Brasiliens Kulturminister sorgt für Schlagzeilen im europäischen Mutterstaat. In Portugals Blätterwald ist er das Tagesthema. Von einem Minister, der den Unterschied zwischen Staat und Regierung nicht kenne, ist in der renommierten Zeitung Público zu lesen.

Roberto Freire wolle die Kultur von der Politik getrennt sehen, was eine Politik ohne Kultur hervorbringe, heißt es in dem Blatt. Die Regierung, für die sich Freire, der eine Lebensreise von ganz links bis in den Schoß von Präsident Michel Temer hinter sich hat, nun hergibt, bekommt ein ebenso vernichtendes Urteil als Schleifer kultureller Errungenschaften.

Dass der Mann Thema wurde, ist einem bizarren Auftritt Freires während der Verleihung des Literaturpreises Prêmio Camões für das Jahr 2016 am vergangenen Freitag in São Paulo zu verdanken. Mit dem Preis werden gemeinsam von Portugal und Brasilien seit 1988 besondere Verdienste um die Kultur und das literarische Erbe in portugiesischer Sprache gewürdigt.

Der Akt war von den neuen Machthabern in Brasília lange verzögert worden. An der Reihe war diesmal der brasilianische Autor Raduan Nassar, ein bedeutender linker Intellektueller. Nach ein paar freundlichen Worten an die portugiesische Seite ritt der 81jährige Preisträger in seiner Dankesrede eine Attacke gegen Temer und Konsorten: Düstere Zeiten seien über Brasilien hereingebrochen. Nassar prangerte den parlamentarischen Putsch gegen die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff an, die gewaltsame Unterdrückung der Opposition auf den Straßen, das neoliberale Programm der Usurpatoren.

Dem Minister trat der Schaum vor den Mund. Nun holte er seinen Zettel raus. Eine Regierung, die einem politischen Gegner einen fetten Preis vermache, könne ja wohl keine Diktatur sein. Woher sollte er auch wissen, dass eine unabhängige Jury aus beiden Ländern diesen bereits im vergangenen Mai Nassar zuerkannt hatte?

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 21.02.2017, S. 8, Link