Sprache und Bilder als Spiegel sozialer Erfahrungen: Die Zusammenarbeit der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle/Saale und des Instituto Superior de Diseño in Kubas Hauptstadt Havanna fördert das wechselseitige Kennenlernen der visuellen Zeichen einer jeweils anderen Kultur.
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Die kubanische Designhochschule Instituto Superior de Diseño, kurz ISDi, ist eine kreative Insel im Straßenmeer von Havannas Zentrum. Ihr vierstöckiger Bau von nüchtern kolonialer Anmutung bildet einen eigenen quadratischen Block nahe dem Barrio Chino, dem chinesischen Viertel, und wird an zwei Seiten von Parks umrahmt. Im großen Innenhof finden sich unter Bäumen und Sträuchern schattige Plätze.
Die jungen Leute, die hier auf Bänken lesend oder plaudernd ihre Pausen verbringen, haben es geschafft: Denn die Studienplätze am ISDi sind heiß begehrt. Künstlerisch Begabte aus allen Provinzen der sozialistischen Antillen-Republik zieht es hierher. Sie ist die einzige universitäre Einrichtung des Landes, an der Gestalter von industriellen Erzeugnissen und solche für visuelle Kommunikation ausgebildet werden.
Die Internationalität ist ein Markenzeichen der „Burg“
Bei der Gründung im Jahr 1984 und dem Aufbau von ISDi standen nicht zuletzt auch deutsche Spezialisten Pate. Lehrkräfte der Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle waren bereits vor drei Jahrzehnten vor Ort, um ihre Erfahrungen an die kubanischen Planer und Professoren weiterzugeben. Die Bildungsstätte an der Saale war in den 1920er Jahren unter dem Namen Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein zu internationalem Ruf gelangt, als hier etliche Vertreter des Bauhauses angewandte Kunst lehrten und ausübten. Die Avantgarde der Klassischen Moderne war von den politischen Reaktionären zum Umzug von Weimar ins anhaltische Dessau gezwungen worden.
In der Nachkriegszeit wurde die „Burg“ unter dem ehemaligen Bauhaus-Schüler Walter Funkat zur Hochschule weiterentwickelt. Namhafte DDR-Künstler durchliefen hier ihre Ausbildung, sie war prägend für Grafik, Design, Glasgestaltung und industrielle Formgebung zwischen Fichtelberg und Ostseestrand. Hier lehrte auch Willi Sitte, der zu den bedeutendsten zeitgenössischen deutschen Malern zählt und dessen Bilder sozialistischen Realismus mit barocker Figürlichkeit verbinden.
Mit dem Ende der DDR begann auch für diesen Teil der Wissenschaftslandschaft eine Periode des Umbruchs. Lehrinhalte und Lehrstuhlinhaber wechselten. Heute bevölkern hier, nun unter dem Label Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, mehr als tausend Studierende die Vorlesungen, Werkstätten und Ateliers. Internationalität ist ein Markenzeichen der „Burg“, jeder zehnte Nachwuchskünstler stammt aus dem Ausland.
An die Tradition von freundschaftlichen Verbindungen zwischen Ostdeutschland und Westindien, wie die karibischen Inseln auch genannt werden, deren größte Kuba ist, wird weiter angeknüpft. Seit 2005 gibt es einen formellen Kooperationsvertrag, in dem der Austausch von Lehrenden und Studierenden sowie gemeinsame Projekte verabredet sind. Neben dem ISDi sitzt auf der kubanischen Seite auch die Kunstakademie mit im Boot: das Instituto Superior de Arte La Habana (ISA).
Positionsbestimmung frei von fremden Interessen
Von der Politik lassen sich die Hallenser dabei nicht in die Suppe spucken. Rektor Axel Müller-Schöll betont die Unabhängigkeit der Kunsthochschule, die ihre Position frei von politischen oder ökonomischen Interessen bestimme: „Beide Seiten können etwas vonei nander lernen“, beschreibt der „Burgherr“ einen wesentlichen Effekt dieser Zusammenarbeit. Man begegne Kuba wie anderen Partnern auch: auf Augenhöhe, nicht belehrend und „auch nicht als der reiche Onkel“, unterstreicht er im Gespräch.
Für die Umsetzung des Kooperationsvertrags in die Realität engagiert sich auch die Professorin Anna Berkenbusch, die in Berlin ein Designbüro betreibt und in Halle lehrt. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Anna Tinnes veranstaltete sie im Winter 2010 an der ISDi in Havanna Workshops mit je acht kubanischen und Giebichensteiner Studierenden – für Letztere fachlich wie menschlich eine intensive Begegnung mit der anderen, widerspruchsvollen Wirklichkeit eines ärmeren Landes. Die deutschen Teilnehmer hatten sich darauf eingestellt: Im Kurs verzichtete man auf die sonst gewohnte Hightech, es lief „ganz ohne die schicken Apple-Rechner“, berichtet Anna Berkenbusch. „Für die Studierenden war es wichtig, die visuellen Zeichen einer anderen Kultur kennenzulernen.“
Soziales Design zeigt die Bedürfnisse der Menschen
Die Hochschullehrerin betont die identitätsstiftende Rolle von Schrift, in die visuelle Erfahrungen einfließen. Fußend auf diesem Ansatz, entstand in gemeinsamer Arbeit ein Initialalphabet mit Havanna-Bezügen, das mit grafischen Mitteln Fortschritt und Verfall, soziale Beziehungen und Alltagsthemen aufgreift. Lebensfreude steht neben Melancholie und den großen Fragen, die Kubas Gegenwart und Zukunft aufwerfen. Im Frühjahr 2011 wurden Ergebnisse des Projekts, darunter Tagebücher, Skizzen und Fotos, in der Ausstellung „Kulturelle Identität“ an der Burg präsentiert.
Auch in diesem und im kommenden Jahr bleibt Kuba an der Saale präsent, der Austausch an Absolventen und Studierenden wird intensiviert.
Im Mai 2012 wurden im traditionsreichen Volkspark Werke kubanischer Plakatgestalter, überwiegend zu kulturellen Themen und zurückreichend bis 1965, neben Ergebnissen eines Seminars gezeigt, das zuvor zwei Gäste aus Havanna an der Saale veranstaltet hatten. Der Designer José „Pepe“ Menéndez und Nelson Ponce, Illustrator und Lehrer für Animation, arbeiten in der Casa de las Américas, dem renommierten Kulturinstitut in Kubas Hauptstadt. Regelmäßig übernehmen sie Lehraufträge des ISDi. Dessen Credo, ein soziales Design zu fördern, das die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt, und mit einem hohen ethischen, sozialen und ökologischen Bewusstsein der „schrittweisen Entwicklung der Ökonomie und der sozialistischen Gesellschaft “ zu dienen, können junge Kommunikationsdesigner jedoch nur sehr bedingt in die Praxis umsetzen. „Es wird zu wenig produziert, oft bleibt nur eine Tätigkeit im touristischen Umfeld“, berichten Menéndez und Ponce. Im Rahmen der Kunst spielten diese Ziele aber dennoch eine wichtige Rolle im kulturellen und politischen Diskurs. Sie schließe Lücken, die vor allem Presse und Fernsehen ließen. Die gewählten Codes und Bilder nähmen Bezug auf die Geschichte und den Wandel, die soziale Wirklichkeit und noch bestehende Tabus.
Gut zu kubanischen Realitäten passt auch das Thema des für das Frühjahr 2013 in der Karibik geplanten gemeinsamen Workshops: Reparatur/Umnutzung. Lehrreich in puncto Nachhaltigkeit sicher auch für die Gäste aus der Wegwerfgesellschaft.
Hinweis: Auf vielfachen Wunsch ist die im Mai im Volkspark Halle/Saale eröffnete Plakatausstellung „Kubaner in Halle“ bis 8. Juli 2012 verlängert worden.
Von Peter Steiniger. Quelle: Die ver.di-Branchenzeitung Druck + Papier, Ausgabe 05-2012, erschienen am 27.06.2012, S.14-15, PDF-Version zum Download