Nach Morddrohungen verlässt linker Kongressabgeordneter Brasilien
Andersdenkende und Andersliebende leben in Brasilien heute besonders gefährlich. Erst recht gilt das für Jean Wyllys, den einzigen offen homosexuellen Abgeordneten des Nationalkongresses. Zum dritten Mal in Folge wurde der Politiker von der Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL) im vergangenen Oktober hineingewählt. Doch weil ihm sein Leben lieb ist, lässt er den Job sausen.
Von einer Reise ins Ausland kehrt Wyllys nicht dorthin zurück, wo er – seit dem Mord an seiner Genossin Marielle Franco im März 2018 – unter Polizeischutz steht und die Öffentlichkeit wegen Gefahr für Leib und Leben meiden muss. Die mutmaßlichen Killer Francos haben Verbindungen zum Clan des neuen Präsidenten Jair Bolsonaro. Der heiße Stuhl geht an Nachrücker David Miranda, der für die PSOL im Stadtrat von Rio de Janeiro sitzt. Verheiratet ist er mit dem US-Journalisten Glenn Greenwald, der die von Whistleblower Edward Snowden abgespeicherten Spionagepraktiken der Geheimdienste enthüllte.
Wyllys machte im April 2016 Schlagzeilen, als er dem Abgeordnetenkollegen Jair Bolsonaro ins Gesicht spuckte. Der Faschist hatte während der Abstimmung des Unterhauses über die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei PT praktisch darum gebeten. Sein Ja widmete Bolsonaro seinem Idol, dem Leiter des berüchtigten Folterzentrums DOI-CODI in São Paulo während der Militärdiktatur, Oberst Carlos Alberto Brilhante Ustra – „der Dilma Rousseffs Horror war“, wie er anmerkte. Mehr muss man über Bolsonaro nicht wissen, um sich sein Urteil zu bilden. Wyllys brachte der Vorfall einen schriftlichen Tadel der Ethikkommission ein. Im Januar 2017 warb der Abgeordnete aus Rio de Janeiro als Referent auf der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin für eine erneuerte plurale Linke.
Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 26.01.2019, Seite 8, Link