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„Enorm beeindruckend und inspirierend“

Die Gewerkschaften aus den skandinavischen Ländern waren auf der Solidaritätskonferenz der Kampagnenplattform LabourStart in der ver.di-Zentrale am vergangenen Wochenende in Berlin gut vertreten. Was hat Sie als junge norwegische Gewerkschafterin zur Teilnahme bewegt?

Solfrid Lerbrekk ist Jugendsekretärin in Stavanger beim Gewerkschaftsdachverband Norwegens LO (Landsorganisasjonen i Norge)

LabourStart ist für mich eine völlig neue Erfahrung, ich hatte damit bislang keine Berührung. Mit mehreren Kollegen aus unseren Gewerkschaften sowie studentischen Vertretern bin ich hierher gekommen, um das Projekt durch die direkte Begegnung mit seinen Aktivisten kennenzulernen. Es geht mir also um Anregungen und Inspirationen aus internationaler Perspektive für unsere Arbeit und für Möglichkeiten, konkrete Solidarität zu üben.
 
Die inhaltlichen Stränge des Treffens reichten von Medienarbeit über die Geschlechterfrage bis zum „Organising“. Was brachte das Treffen für Erkenntnisse über die Chancen, in der Krise länderübergreifend mehr Gewerkschaftsmacht am globalen Arbeitsplatz zu entwickeln?  

LabourStart hat mich enorm beeindruckt und inspiriert. Es bietet sehr gute Konzepte, verfolgt klare Ziele und setzt auf konkrete Kampagnen und Aktionen, die Menschen dazu einladen, selbst tätig zu werden. Die wachsende Vernetzung spiegelt sich in der Vielfalt der Teilnehmer und der mit 75 vertretenen Nationen wirklich internationalen Dimension wider. Hervorheben möchte ich die Breite und Qualität der Themen, die viele aktuelle Fragen zur Politik und zu gewerkschaftlicher Arbeit aufgreifen. Diese Debatten helfen uns, unsere Werkzeuge zu verbessern. Ich werde viele Anregungen nach Norwegen mitnehmen. Wo es Möglichkeiten gibt, werde ich mich auch künftig gerne weiter in diesem Kontext einbringen.

Wie stark interessiert sind heute die jungen Norwegerinnen und Norweger an politischen Fragen, wie bewußt sind Ihnen die verheerenden sozialen Folgen des neoliberalen Modells?  

Es gibt durchaus einen nicht geringen Anteil von jungen Menschen, die kritisch denken, politisches Interesse zeigen. Dabei weist das Niveau eine breite Skala auf. Aber gerade in den Gewerkschaften und auch in den Jugendverbänden der Parteien gibt es viele, die auch politisch aktiv werden.

Der bedeutende Ölförderstaat Norwegen hat eines der höchsten Lebensniveaus weltweit, die Arbeitslosenrate ist niedrig. Seit dem vergangenen Herbst regieren Konservative und Rechtspopulisten. Wo setzen da die Gewerkschaften an?

Auch wenn es Norwegen im Vergleich mit vielen anderen Ländern ziemlich gut geht, existiert die soziale Frage. Gerade junge Beschäftigte in der Privatwirtschaft bekommen das zu spüren. Das größte Problem sind hier fehlende Festanstellungen und unbefristete Jobs statt Praktika. Im öffentlichen Sektor wiederum mangelt es an Vollzeitstellen, ist unfreiwillige Teilzeitarbeit sehr verbreitet. Und es ist auch bei uns so, daß einer großen Zahl an Niedriglöhnern gleichzeitig immer mehr Multimillionäre und reiche Leute gegenüberstehen. Insofern ist der Klassenkampf auch in Norwegen weiter aktuell.

Welche Rolle spielt die internationale Solidarität bereits innerhalb der Gewerkschaftsarbeit in Ihrem Land?

Eine bedeutende. In diesem Bereich sind unsere Gewerkschaften sehr aktiv. Und wir sollten noch mehr tun. Mein Mitgliedsverband „Energie Industrie“ engagiert sich zum Beispiel im Südsudan, in mehreren Ländern Südamerikas, pflegt Freundschaften zu Aktivistengruppen in Rußland und China. Hervorheben möchte ich auch Hilfe und Kooperation in bezug auf Palästina. Übrigens: Drei Prozent aller Beiträge unserer Mitglieder werden für die internationale Solidaritätsarbeit aufgewendet. Die großen, politisch einflußreichen Gewerkschaften stehen in der Pflicht, anderen zu helfen, und zwar langfristig und vorausschauend. Wir selbst lernen dabei viel über die Organisation gemeinschaftlicher Kämpfe, wie auch hier bei LabourStart.

Interview: Peter Steiniger. Erschienen in: junge Welt vom 27.05.2014, Nr. 121, S.08,Link

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