Soweit ist es gekommen: Die reaktionärsten Kräfte stehen wieder vor den Toren des Palastes der Hochebene. Die Schlüssel zum „Planalto“ sollen ihnen die Wähler aushändigen, indem sie deren Messias, Jair Bolsonaro, zum Präsidenten bestimmen. Nach der spektakulären Messerattacke eines geistig Verwirrten vor vier Wochen kam der schnell zu Kräften – auch in den Umfragen wuchs sein Potential bedrohlich. Pate standen dabei die Führer einflussreicher evangelikaler Sekten, die den Fehlschlag des Attentats als Wunder und göttliches Zeichen priesen. Mit deren Ausdehnung hat auch der Konservatismus an Macht über das Denken von immer mehr Menschen gewonnen. Große Medienkonzerne sprangen auf den Bolsonaro-Zug auf. Eine Beteiligung an den Debatten der Kandidaten über politische Konzepte – was ihn als Kaiser ohne Kleider entlarvt hätte – blieb dem Rekonvaleszenten erspart. Eine massive Kampagne im Internet preist ihn als guten Christen, politischen Macher, Ehrenmann und Rächer der Witwen und Waisen.
Lange galt der Diktaturfan von den Hinterbänken des Kongresses mit seinen Ausfällen gegen Frauen, Schwule und Schwarze als ein zwar gefährlicher, doch letztlich chancenloser Irrer. Ähnliches glaubte der liberale Mainstream auch, bevor Bolsonaros – nur vergleichsweise fast seriösem – Vorbild der Einzug ins Weiße Haus gelang. Mit der neuen Rechten in den USA, die die alte ist, teilt man die Methoden der Massenmanipulation und ideologische Glaubenssätze. Die sozialen Netzwerke werden mit „alternativen Fakten“ bespielt, in den Botschaften des Bolsonaro-Lagers wird hysterisch vor der roten Gefahr für Familie, Kirche und Vaterland gewarnt. Die fängt bei der bekanntlich verderblichen Sexualerziehung in Schulen an. Die Bolschewisten kommen nach dieser Lesart nicht mehr mit den Messern zwischen den Zähnen, sondern zersetzen die heiligen Werte der westlichen Gesellschaft mit Vielfalt und Toleranz. Daher rührt auch die besessene Homophobie Bolsonaros und seiner Jünger. Der sich in unserer Welt ausbreitende Faschismus ist eine Konterrevolution gegen das aufgeklärte Denken. Entsprechend breit wird das Stigma eines angeblichen „kulturellen Marxismus“ vergeben, der überall die Strippen ziehe, wobei ein antisemitischer Unterton deutlich mitschwingt.

Es war die Revanche des Großbürgertums nach der Niederlage an den Urnen bei den Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren, die für Bolsonaro das Feld düngte. Mit dem institutionellen Putsch gegen Dilma Rousseff wurde die formelle, fragile Demokratie Brasiliens brutal beschädigt. Die Begleitmusik spielten die allmächtigen Globo-Medien, welche das Land seit 2013 gezielt destabilisierten und die Politiker der Arbeiterpartei faktisch zu Volksfeinden erklärten. Von Anfang an ging es nicht nur um den Sturz einer dem Kapital nicht mehr genehmen Regierung, sondern um eine Offensive mit dem Ziel, die großen Organisationen der Linken auf Dauer zu marginalisieren. Dazu bedient man sich der Judikative, die gegen Köpfe der Linken mit diktatorischen Maßnahmen vorgeht. Anders kann man Lulas politische Haft, seinen Ausschluss von der Wahl und die Unterdrückung seiner Stimme in der Öffentlichkeit nicht werten.
Von ihrem Kongress haben die Brasilianer wenig zu erwarten, und noch weniger Gutes. Große Gauner wie Präsident Temer blieben am Ruder, fuhren die Karre immer tiefer in den Dreck. Als Kollateralschaden sind auch die bürgerlich-konservativen Politiker, die mit ihm paktierten, für die Wähler erledigt. Das schürt die Sehnsucht nach der starken Hand, die ausmistet. Das Kapital hätte nichts gegen den Plan B zur Demokratie. Noch ist es nicht soweit. Bei Millionen sind die Zeiten, in denen sich ihr Leben zum Besseren veränderte, in denen Brasilien nicht als US-Mündel und Paria auf der internationalen Bühne stand, weiter im Gedächtnis. Doch bei einem Sieg eines der linken Kandidaten bliebe die Machtfrage offen. Denn ein Ende des Rollbacks steht nicht im Drehbuch der Putschisten.
Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 06.10.2018, Seite 3, Link