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Abrechnung in Brasília

Mit erhobenem Haupt las die Angeklagte ihren Richtern die Leviten. Mit einer energischen Rede bezog Brasiliens Präsidentin im gegen sie geführten Amtsenthebungsverfahren vor dem Senat als letzter Instanz Stellung.

Dilma Rousseff wirkte gezeichnet, doch sie hatte das Brandeisen dabei, dessen Mal man hier nicht gern tragen möchte. „Putsch“ ist so ein hartes Wort. Im feinen Oberhaus achtet man auf Etikette. Ehrenmänner sind zwar auch hier rar, doch ist es nicht ein Ort pöbelnder Hinterwäldler wie die untere Parlamentsetage. Und schließlich: Auf den Straßen rollen keine Panzer, die Armee ist nach Olympia wieder in den Kasernen, kein Senator fordert von Rousseff den Griff zum Schierlingsbecher. Gegen die Interimsregierung von Michel Temer darf fleißig demonstriert werden, vielleicht kommen mal ein paar Polizeiknüppel und etwas Tränengas dazwischen. Kurz gesagt, es herrscht ungefähr das übliche Maß an Repression.

Ein normales Verfahren im Rahmen der geltenden Verfassung soll es sein, folgt man der neuen Globo-Regierung. Ein Vorgang, wie es ihn in anderen demokratischen Staaten auch geben könnte. Die vom Gesetz vorgesehenen Regeln werden befolgt, der respektierliche Präsident des Obersten Gerichtshofes wacht als Vorsitzender des Prozesses darüber. Es gibt da nur ein klitzekleines Problem: Die Anklage gegen Rousseff wegen „Haushaltstricks“ ist heiße Luft. Reden wir also nicht drüber: Sie habe die falsche Augenfarbe, sei zu dick oder zu dünn, das hätte den gleichen Gehalt. Beide Seiten wissen das. Und ohne die Mitwirkung von Justizkreisen am Komplott wäre es nie soweit gekommen. Schmutzige Tricks gab es allerdings einige, wie illegale Abhör- und Polizeiaktionen, die medial ausgeschlachtet wurden. Während der populärste Linkspolitiker, Expräsident Lula da Silva, von einem rechten Richter kaltgestellt wurde, durfte ein mafiöser Eduardo Cunha im Parlament noch so lange wie nötig die Strippen ziehen.

UnbenanntRousseffs Rede war ein Spagat. Auf der einen Seite stand ein klares politisches Plädoyer, die Verteidigung sozialer Errungenschaften und zivilisatorischer Fortschritte während der PT-Ära. Die Widerstandskämpferin gegen die Militärdiktatur erinnerte an frühere, bereits ebenso demokratisch bemäntelte Staatsstreiche in Lateinamerika und Brasilien. Heute nähmen konservative Sektoren der Elite Revanche für die Niederlage an den Urnen. Man sei nur noch „einen Schritt“ vom einem „tatsächlichen Putsch“ entfernt. Eine Absetzung der Präsidentin aus Gründen, die beliebig sind, ist kein normaler Machtwechsel, sondern ein Demokratiebruch. Zugleich argumentierte Rousseff gegen die Pseudoanklagen. Mehr wohl für die Öffentlichkeit verteidigte sie ihre Managerehre als für die Böcke im Senat, die die Gärtnerin verstoßen wollen. Rousseffs Absetzung wäre nur eine Station des Rollbacks in Brasilien. Ihre Haltung bleibt ein Vorbild für alle, die weiter auf der richtigen Seite der Geschichte kämpfen. Das Eisen glüht schon.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 31.08.2016, S. 8, Link

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