Lässt sich das Blatt noch wenden? Viele Karten hat Brasiliens suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) nicht mehr in der Hand. Voraussichtlich im August wird der Senat endgültig über das Amtsenthebungsverfahren entscheiden, mit Hilfe dessen die Rechte vor einem Monat die Macht an sich brachte.
Seitdem herrscht mit dem Kabinett der weißen Oligarchie von Interimspräsident Michel Temer in Brasília auch wieder der Geist der Casa-grande. Das Herrenhaus steht für den rücksichtslosen Dünkel der reichen Oberschicht gegenüber der Sklavenhütte, den Besitzlosen, eine Gegenüberstellung, mit der vor Jahrzehnten der Soziologe Gilberto Freyre die brasilianische Gesellschaft treffend charakterisierte.
Rousseff glaubt, einen neuen Trumpf gefunden zu haben. Im Falle eines Scheiterns des Impeachments im Senat und ihrer daraus folgenden Wiedereinsetzung schlägt sie dazu auch eine Volksbefragung vor. Diese Taktik zielt darauf, Wackel-Senatoren den Schritt in ihr Lager zu erleichtern. Um ins Amt zurückzukehren, benötigt sie die Stimmen von mindestens 27 der 81 Mitglieder. Der katastrophale Start der Temer-Regierung mit dem Sturz von Ministern, nachdem Abhörprotokolle sie als Verschwörer entlarvten, die Haftbefehle gegen vier Führungsfiguren von Temers Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB) wegen Behinderung der Justiz und Korruption nähren im linken Lager die Hoffnung, dem Casa-grande-Spuk auf dem Amtsweg ein Ende bereiten zu können. Sehr dick ist dieser Strohhalm nicht.
Am Dienstag kam Dilma Rousseff mit Vertretern der sozialen Bewegungen zusammen, um über Auswege aus der Krise zu beraten. In der Not wuchs das Bündnis zwischen der größten linken Partei Lateinamerikas und ihrer Basis wieder fester zusammen. Zu weit hatte sich die Regierung von Rousseff nach deren Wiederwahl im Oktober 2014 von der versprochenen sozialen Agenda entfernt, Zugeständnisse an rechte Koalitionspartner gemacht. Zu lange hatte sie am trügerischen Pakt der Klassen geklebt. Ihr Vize Michel Temer hat das Bündnis mit der PT verraten, aber nicht seine Mission. Der Informant der US-Botschaft, sprich CIA, führt genau den kalten Putsch durch, auf den die alten Eliten und deren Leitmedien seit 13 Jahren hinarbeiten. Der parlamentarische Staatsstreich soll erzwingen, was bei Präsidentschaftswahlen viermal in Folge durchfiel: nach innen eine neoliberale Doktrin, nach außen Brasilien im Fahrwasser der USA.
Das Tischtuch ist endlich zerschnitten. Doch das Schicksal der PT hängt nicht am Ränkespiel des korrupten Parlaments und der Honoratioren. Sondern an der Straße. Nur dort wäre eine bitter nötige Politikreform zu erkämpfen. Hunderttausende stehen gegen den Putsch auf, von den Globo-Medien unter „weiter liefen“ versteckt. Eine breite Bewegung, die den Ausweg nicht in einem Zurück sucht, sondern klar links.
Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 15.06.2016, S. 8, Link