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Dilma muss ins Duell

Nichts Neues unter der Sonne Brasiliens: Zum vierten Mal in Folge stehen sich in einer Stichwahl um die Präsidentschaft der Republik die Kandidaten der Arbeiterpartei (PT) und der konservativen PSDB (Partei der brasilianischen Sozialdemokratie) gegenüber. Der zweite Wahlgang in drei Wochen ist notwendig, da beim Urnengang am Sonntag auf keinen Wahlvorschlag die für einen Sieg in der ersten Runde nötigen mehr als 50 Prozent entfielen. Erwartungsgemäß vorn lag die Amtsinhaberin, Dilma Rousseff von der PT, die 41,6 Prozent der Stimmen erhielt. Die Ausgangsbasis der Favoritin ist längst nicht komfortabel: Bei ihrer ersten Kandidatur vor vier Jahren hatte Dilma – Politiker werden in Brasilien fast nur mit dem Rufnamen gehandelt – im ersten Wahlgang noch fast 47 Prozent erreicht. Im Vergleich zu damals verlor die Präsidentin fast fünf Millionen Stimmen.

Auf den zweiten Platz kam der unternehmerfreundliche PSDB-Mann Aecio Neves. In den Umfragen hatte er über Wochen klar hinter der ehemaligen Umweltministerin Marina Silva gelegen, die für die linksliberale Brasilianische Sozialistische Partei (PSB) antrat. Sie war erst ins Rennen geschickt worden, nachdem der PSB-Bewerber Eduardo Campos am 13. August bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückte. Die Evangelikale Silva, früher selbst PT-Politikerin, dann Grüne, präsentierte sich als „dritte Kraft“ jenseits der etablierten Politikerkaste. Auf der Zielgeraden zog nun Neves mit 33,6 Prozent noch weit an Silva, mit 21,3 Prozent abgeschlagene Dritte, vorbei und in die Finalrunde ein. Mit nur acht Prozent Abstand konnte er recht dicht zu Amtsinhaberin Rousseff aufschließen. Seine unerwartet starke Performance zündete ein kleines Freudenfeuer bei den Brasilien-Fonds an den europäischen Börsen, wo auf einen kapitalfreundlicheren Kurs der sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt unter einem Präsidenten Neves spekuliert wird.

UnbenanntUm am 26. Oktober Gold zu erringen, ist der Konservative auf Stimmen aus Silvas Lager angewiesen. Dies wird allerdings kein Selbstläufer. Viele der Protestwähler, die „Marina“ im ersten Wahlgang anziehen konnte, wollten der Präsidentin an den elektronischen Wahlurnen lediglich taktisch einen Denkzettel verpassen. Sie gönnen der technokratisch agierenden „großen Chefin“, weniger populär und charismatisch als ihr Vorgänger von der PT „Lula„ da Silva, einen Sieg schon im ersten Durchgang nicht. Trotz enormer sozialpolitischer Erfolge sind viele Miseren im Riesenland längst nicht bewältigt und der Konjunkturmotor stockt zudem. Gewalt und Korruption machen weiter das Leben schwer. Mit dem durch die Politik der sozialdemokratischen PT erst ermöglichten Aufstieg aus der Armut ist Millionen Brasilianern, die sich nun der unteren Mittelschicht zurechnen, deutlich bewusster geworden, dass die Mobilitätskrise der Megastädte unerträglich ist, dass Bildung und Gesundheit kaum erschwinglich sind oder weiter auf Dritteweltniveau. Die Unzufriedenheit brach sich in den Massenprotesten im letzten Jahr gegen die Milliardenausgaben für Fußball-WM und Olympiabauten Bahn.

Der Ausgang der Präsidentschaftswahl spiegelt die Zugkraft der politischen Polarisierung zwischen PT und PSDB. In der Endphase des Wahlkampfes wurde Silva von beiden Seiten unter Feuer genommen. Bei den gleichzeitig abgehaltenen Wahlen zum Senat, zum Kongress und der Gouverneure der Bundesstaaten lassen sich linke Hochburgen vor allem im Norden und Nordosten ausmachen. Hier stellen künftig auch die Kommunisten der PCdoB im Bundesstaat Maranhão den Gouverneur. Die PSDB triumphierte in São Paulo. Die bürgerlich-populistische PMDB behauptete landesweit ihre starke Position. Überraschungsfinalist Neves bezeichnete sein Ergebnis als „über allen Erwartungen“ und startete noch am Wahlabend eine Charmeoffensive auf die PSB-Wählerschaft und lobpreiste den verstorbenen „lieben Freund“ Eduardo Campos. Er stehe für alle, die eine Regierung mit „Anstand und Effizienz“ wollten. Den Brasilianern verspricht er Wachstum, das Land soll wieder attraktiver für Investoren werden. Silva bedankte sich mit einem Wink nach rechts: Das Ergebnis zeige, dass die Mehrheit einen grundsätzlichen Wandel wolle. Dilma Rousseff zeigt sich mit Blick auf die Stichwahl optimistisch und dankte Ex-Präsident Lula für seine Unterstützung im Wahlkampf.

Von Peter Steiniger. Erschienen in: junge Welt vom 07.10.2014, Nr.232, S.6,Link

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