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Staatsbesuch an der FU

Großer Jubel für Dilma Rousseff: Der Auftritt der abgesetzten Staatschefin von der brasilianischen Arbeiterpartei PT am Dienstag abend an der Freien Universität im vorwinterlichen Berlin war für sie ein Heimspiel. Aus ganz Deutschland waren hier lebende Landsleute angereist, um ihr einen warmen Empfang zu bereiten und die Frau reden zu hören, die sie weiter als eine legitime Stimme Brasiliens ansehen. Die Veranstaltung, eine Kooperation des Lateinamerika-Instituts der FU mit der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), behandelte das Problem der Korruption und die politische Rolle von Justiz und Strafverfolgungsbehörden im gegenwärtigen Brasilien, „wo die Reaktion zurückgeschlagen hat“, wie Michael Sommer, stellvertretender Vorsitzender der FES – im früheren Leben DGB-Chef – zur Einstimmung deutlich machte.

thumbnail of jw-2017-11-16-FU_DilmaZweite Rednerin neben Rousseff war die ehemalige deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, die sich vor wenigen Wochen selbst vor Ort umgesehen hatte. Die SPD-Politikerin macht für Brasilien „ein schreckliches Rollback seit dem ungerechtfertigten Impeachment“, das 2016 zum Sturz der ersten Präsidentin Brasiliens führte, aus. Sie lobte die von deren Regierung ergriffenen Initiativen zur Bekämpfung der Korruption, unter der die Gesellschaft leide. Justitia müsse blind sein, dürfe die mächtigen Eliten nicht schonen. Andernfalls würden Misswirtschaft und Korruption gefördert: „Sie wissen schon, wen ich meine“, spielte sie auf den jetzigen, durch schwere Anklagen belasteten Staatschef Michel Temer an. Alle Anwesenden wussten, wer gemeint war.

Rousseff kam auf die soziale Revanche als eine Triebkraft des parlamentarisch-juristischen Putsches – für den auch Stimmen gekauft worden seien – zu sprechen und dessen geopolitischen Rahmen. Anders als frühere Regierungen hätten die der PT zu allen Ländern „sanft“ gesprochen, nicht nur zu den USA. Im Zusammenspiel von Medien und Judikative sei in ihrem Land das politische Klima aufgeheizt worden. In der Bredouille seien allerdings auch konservative Kräfte, da diese zum „Symbol der Korruption“ geworden und nicht mehr wählbar seien. Damit wachse die Gefahr von rechtsaußen.

Besonders ging die Expräsidentin auf die Verfahren und Urteile gegen den PT-Politiker Lula da Silva ein, nach Umfragen der aussichtsreichste Bewerber um das höchste Amt bei den 2018 anstehenden Wahlen. Sie legte dar, wie mittels der Prozesse seine Kandidatur verhindert werden soll. Ihre Partei würde an Lula festhalten und „bis zur letzten Minute dafür kämpfen“, dass er Präsidentschaftskandidat wird. Das Jahr 2018 halte „noch viele Überraschungen für viele Putschisten bereit“. Däubler-Gmelin sprach im Fall Lula von Manipulation und nannte die Prozesse einen Skandal.

Von Peter Steiniger. Veröffentlicht in: junge Welt, 16.11.2017, Seite 6, Link