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Temer? Themenwechsel!

Mit Brecheisen sprengten sie die Türen auf. Der Autoverkehr wurde umgeleitet. Schwerbewaffnete in den militärisch anmutenden Tarnuniformen der Schnellen Eingreiftruppe der Bundespolizei bezogen Posten vor dem Haus. Die Einheit ist auf die Bekämpfung von Unruhen spezialisiert und wird unter anderem zur Absicherung von Großereignissen eingesetzt. Man kennt sie vor allem von Polizeiaktionen in den Favelas, den ärmeren Vierteln von Städten wie Rio de Janeiro.

Acht Stunden lang durchsuchten am Donnerstag Beamte den Sitz der Führung der Arbeiterpartei (PT) im Zentrum der Metropole São Paulo nach Beweismitteln. Die Aktion wird mit Korrup­tionsermittlungen der Operation „Custo Brasil“ legitimiert, einem Ableger der großangelegten Lava-Jato-Untersuchungen zu illegalen Netzwerken rund um die Konzerne Petrobras und Odebrecht. Gelder sollen in diesem Fall über Kommunikationsfirmen verschoben worden sein. Ermittelt wird seit einem Jahr.

UnbenanntDie Arbeiterpartei verurteilte die Aktion als politisch motiviertes Spektakel. Es handle sich um „einen erneuten Versuch, die PT zu kriminalisieren“. Die Partei habe „nichts zu verstecken“. Ein solches Vorgehen gegen eine Parteizentrale stellt ein Novum in der Zeit nach der Militärdiktatur dar. Am selben Tag wurde neben weiteren Beschuldigten in Brasília der führende PT-Politiker Paulo Bernardo, zehn Jahre lang Minister unter Lula da Silva und der suspendierten Staatschefin Dilma Rousseff, verhaftet. Die Festnahme erfolgte in der Dienstwohnung seiner Ehefrau, der Senatorin Gleisi Hoffmann. Eine dafür erforderliche Erlaubnis des Obersten Gerichts gab es nicht, Ermittlungsrichter Sérgio Moro durfte einmal mehr seine Kompetenzen überschreiten. Hoffmann gehört dem Senatsausschuss an, der demnächst über eine endgültige Amtsenthebung von Rousseff – die Vollendung des politischen Staatsstreichs – zu entscheiden hat.

Die Polizeiaktionen verschieben die öffentliche Wahrnehmung. In ihrem Zentrum standen zuletzt Interimspräsident Michel Temer und sein Kabinett, das bereits drei Minister wegen Ermittlungen zu Korruption und Behinderung der Justiz einbüßte. Der Generalstaatsanwalt möchte die gesamte Führungsspitze von Temers PMDB hinter Gittern sehen. Auch über etliche Politiker der konservativen PSDB senkt sich die Dunkelheit. Die gescheiterte evangelikale Präsidentschaftsbewerberin Marina Silva wird ein toter Zeuge nicht mehr belasten können. Immer mehr Details dazu, wie Politiker der meisten Parteien bei öffentlichen Aufträgen die Hände aufhielten und die Kassen für kostspielige Wahlkämpfe füllten, kommen ans Licht. Von links wird die PT dafür kritisiert, hierin bei den bürgerlichen Parteien in die Schule gegangen zu sein. Die Justiz wird nun fast nur in ihre Richtung aktiv.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 25./26.06.2016, S. 2, Link

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