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Operation Arsch retten

Pate, Strippenzieher, Schattenmann: Eduardo Cunha verkörpert geradezu Brasiliens „Parlament der Korrupten“. „Cunha in den Knast“ ist eine der zentralen Losungen der weiter anhaltenden Proteste gegen die Temer-Regierung.

Als Präsident der Deputiertenkammer seit Februar 2015 war er die zentrale Figur hinter dem als Amtsenthebungsverfahren verkleideten Putsch gegen Präsidentin Dilma Rousseff, der am 31. August zu ihrem endgültigen Sturz führte. Der evangelikale Eiferer wirkte im Parlament als Lobbyist für kapitalfreundliche und rückschrittliche Gesetzesvorlagen. Er gilt als der Mentor von Rousseffs abtrünnigem Vize Michel Temer und gehört wie dieser der rechtsopportunistischen Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB) an.

Nun geht es um seinen Kopf. Bis zum Hals steckt Cunha im Sumpf des „Lava Jato“-Korruptionsskandals rund um den Ölkonzern Petrobras. Schmiergelder in Höhe von mindestens fünf Millionen Dollar soll er im Zusammenhang mit dem Bau von Bohrinseln eingestrichen und auf geheimen Konten in der Schweiz gebunkert haben, wo ebenfalls gegen ihn ermittelt wird. Während einer Befragung im Petrobras-Untersuchungsausschuss des Parlaments wollte er von seiner Kriegskasse im Alpenland nichts wissen. Doch Bankauszüge lügen nicht. In der Folge sah er sich seit November 2015 einem von der Ethikkommission des Abgeordnetenhauses angestregten Verfahren ausgesetzt. Nachdem Rousseffs Arbeiterpartei (PT) klargemacht hatte, dass Cunha von dieser Seite nicht auf Deckung zählen durfte, standen die Zeichen auf Vendetta.

unbenanntAm 17. April 2016 präsidierte Cunha der bizarren Sitzung, in der unter Gottesanrufungen mit der dafür notwendigen Zweidrittelmehrheit im Parlament die Einleitung eines Impeachments mit fadenscheiniger juristischer Begründung gegen Rousseff beschlossen wurde. Erst Anfang Mai nötigte Cunhas Schwefelgeruch das Oberste Bundesgericht, ihn von Abgeordnetenmandat und Amt zu suspendieren. Zwei Monate später trat er als Unterhauspräsident zurück, nachdem ihm Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot wegen fortgesetzter unerlaubter Einmischung in das politische Geschäft und Behinderung der Justiz bereits mächtig Feuer unterm Hintern gemacht hatte. Zu Cunhas Nachfolger gewählt wurde mittlerweile Rodrigo Maia von den konservativen Demokraten (DEM). Maia zählte bis dahin zu Cunhas Schleppenträgern und distanzierte sich nun im Sauseschritt nach außen hin vom Idol.

Jetzt muss das Parlament entscheiden, ob es Cunha endgültig hinauswirft. Neben dem politischen Aus und dem Verlust der Wählbarkeit auf Jahre droht ihm insbesondere die Aufhebung der parlamentarischen Immunität. Dann wäre das Kittchen nicht mehr fern, eigentlich. Sein Einfluss ist immer noch beachtlich, auch wenn in Cunhas informeller Hausmacht, dem Mitte-rechts-Block „Centrão“ aus 13 Parteien, der Rückhalt für seinen gefallenen Star bröckelt. Cunhas Wissen ist Macht: Zu Dutzenden, so drohte er bereits, werde er Abgeordnete und selbst Minister mit in den Abgrund reißen, sollte es ihm tatsächlich an den Kragen gehen. Bei den Behörden soll er gerade erfolgreich wegen einer Kronzeugenvereinbarung vorgefühlt haben. Mit allerlei Winkelzügen und dank des Einsatzes seiner „Stoßtruppen“, der mächtigen Cunha-Lobby, wurde das Verfahren bereits auf Rekordzeit ausgedehnt. Eine letzte Strategie besteht nun darin, Parlamentsmitglieder zum Fernbleiben von der entscheidenden Sitzung am kommenden Montag zu bewegen, einem Wochentag, an dem für gewöhnlich sowieso etliche Abgeordnete in Brasília fehlen. Die einfache Mehrheit der Kammer wird gebraucht, das sind 257 Stimmen, um Cunha zu versenken.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 10.09.2016, S. 7, Link

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