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Lawinengefahr am Zuckerhut

Hat Gott Erbarmen mit dieser Nation? Fast scheint es so. Den frommen Wunsch hatte Parlamentspräsident Eduardo Cunha am 17. April seinem Votum für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Staatschefin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) mit Nachdruck vorangestellt. Mit Ja stimmten am Dienstag auch 11 der 20 Mitglieder eines Ethikausschusses des Abgeordnetenhauses in Brasília.

Sie empfehlen damit dem Parlament, dem bereits suspendierten Cunha das Abgeordnetenmandat endgültig zu entziehen. Begründet wird dies mit dessen Falschaussagen vor einer Parlamentarischen Untersuchungskommission zum Korruptionsnetzwerk um den Ölkonzern Petrobras über den Besitz von Konten im Ausland. Damit habe Cunha gegen den Abgeordnetenkodex verstoßen.

02Der evangelikale Hartliner von der Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB), der auch Interimspräsident Michel Temer angehört, hat viele Schäfchen ins Trockene gebracht. Mindestens fünf Millionen Dollar an Schmiergeldern soll er auf Schweizer Konten gebunkert und in Scheinfirmen versteckt haben. Cunha war einer der entscheidenden Strippenzieher des Komplotts von Vertretern aus Politik, Justiz und Medien, das am 12. Mai die Suspendierung von Rousseff und anschließend eine politische Rechtswende durchsetzte.

Die PT hatte sich Cunhas Erpressungsversuchen mit dem Ziel, dass ihm ihre Abgeordneten im Ethikausschuss beistehen, verweigert. In der Folge organisierte dieser die Blockade wichtiger Regierungsprojekte im Parlament und startete eine Vendetta gegen Rousseff. Dank seines Einflusses und zahlreicher Verfahrenstricks wurde das bereits im November 2015 begonnene Verfahren gegen Cunha auf Rekorddauer ausgedehnt. Er will gegen die Entscheidung Einspruch einlegen. Diese muss noch durch das Parlament bestätigt werden. Für den endgültigen Sturz von Temers wichtigstem politischen Verbündeten ist eine absolute Mehrheit der 513 Stimmen erforderlich. Bereits am Montag hatten die Justizbehörden gegen Cunha und dessen Frau weitere Ermittlungen eingeleitet und seine Geld- und Vermögenswerte gesperrt. Nach Medienberichten hat der Politiker gedroht, bei seinem Sturz 150 ebenfalls korrupte Abgeordnete mit sich zu reißen.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 16.06.2016, S. 2, Link

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