Das „Sommerloch“ ist vorbei: Unter dem Motto „Gegen die Verarmung und die Ungerechtigkeiten“ hatte die Gewerkschaftszentrale CGTP zu neuen öffentlichen Protesten mobilisiert. Der Appell wurde gehört. Am Sonnabend zogen nach Schätzungen der Veranstalter 130000 Demonstranten durch die Hauptstadt Lissabon zur Abschlußkundgebung auf der Praça dos Restauradores. Mit etwa 50000 Teilnehmern erlebte zur gleichen Zeit die nördliche Metropole Porto die größte politische Manifestation seit Jahren. Die Massenaktionen richten sich gegen die Politik der seit hundert Tagen im Amt befindlichen Mitte-Rechts-Regierung von PSD und CDS-PP, gegen steigende Lebenshaltungskosten und hohe Arbeitslosigkeit.
Das Kabinett von Pedro Passos Coelho (PSD) hat sich gegenüber der sogenannten Troika von EU, EZB und IWF zu scharfen Sparmaßnahmen, zu Steuererhöhungen, neoliberalen Reformen und Privatisierungen verpflichtet. Im Gegenzug erhält Portugal drei Jahre lang Notkredite über insgesamt 78 Milliarden Euro.
Der Unmut der Demonstranten entzündet sich besonders an kräftig gestiegenen Preisen im öffentlichen Nahverkehr, höhere Abgaben auf Gas und Strom, drastische Kürzungen beim Weihnachtsgeld, im Gesundheitswesen sowie bei Zuwendungen für Kultur. Nach neuen Plänen sollen auch Abfindungszahlungen bei Entlassungen per Gesetz beschnitten werden. In Sprechchören und auf Transparenten wandten sie sich gegen die „Troika-Aggression“ und forderten eine neue Politik, die Arbeitsplätze schafft, soziale Rechte und existenzsichernde Löhne garantiert. Führende Politiker und Abgeordnete der Kommunistischen Partei (PCP), der Grünen (PEV) und vom Linksblock (BE) beteiligten sich an den Demonstrationen.
In seiner Rede warf CGTP-Generalsekretär Carvalho da Silva in Lissabon Passos Coelho vor, die Portugiesen im Wahlkampf zu seinen Absichten „wissentlich belogen“ zu haben. Die Regierung habe „keinerlei Vision für die Entwicklung des Landes“. Aus Sicht der CGTP führt das Sparprogramm nur noch tiefer in die Rezession hinein und schürt prekäre Verhältnisse für Beschäftigte, Rentner und Arbeitslose. Die Gewerkschaft verlangt statt dessen entschiedene Maßnahmen gegen Steuer- und Kapitalflucht, ein Ende der Schonung der Superreichen. Von den abgewählten Sozialisten (PS) forderte da Silva einen politischen Neuanfang. Die Sozialistische Partei dürfe „nicht weiterhin Gefangener der Übereinkunft mit der Troika“ bleiben. PCP-Generalsekretär Jerónimo de Sousa nannte den CGTP-Protest „eine großartige Antwort“ auf Resignation und die angebliche politische Alternativlosigkeit. Für die Woche ab dem 20. Oktober hat CGTP neue Aktionen mit Streiks im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft angekündigt.
Von Peter Steiniger. Quelle: Tageszeitung junge Welt, 04.10.2011, Nr. 230, S.2, https://www.jungewelt.de/2011/10-04/055.php