Nach der ersten echten Probe fiel schon der Vorhang. Nur zwei Monate nach Amtsantritt scheiterte Schwedens Minderheitsregierung aus Sozialdemokratie und Umweltpartei (MP) in der vergangenen Woche im Parlament mit ihrem Haushalt. Ministerpräsident Stefan Löfven kündigte umgehend Neuwahlen zum Reichstag für den 22. März an. Es war das erwartbare Finale im Krimi um das Budget. Zu einem seiner Hauptdarsteller wurden die bei den Wahlen im September mit 13 Prozent zur drittstärksten politischen Kraft aufgestiegenen Schwedendemokraten. Wie anderswo in Europa schwimmen sie mit nationalistischen Parolen und Schuldzuweisungen an Einwanderer auf der Welle, die sich infolge sozialer Ängste und des propagierten Feindbilds Islam auftürmt. Gegenüber 2010 verdoppelte sich ihr Stimmenanteil. Ihre 49 Abgeordneten votierten geschlossen für die Vorlage der bürgerlichen Opposition. Zuvor waren alle Versuche gescheitert, der konsensorientierten Tradition folgend, mit der Vier-Parteien-„Allianz für Schweden“ zu „blocküberschreitenden Übereinkünften“ zu gelangen.
Löfvens Koalition stützt sich nur auf 138 der 349 Parlamentarier. Auch mit Hilfe der 21 Abgeordneten der Linkspartei (Vänsterpartiet), welche er bei der Regierungsbildung außen vor ließ, lassen sich Bürgerliche und Rechtspopulisten nicht überstimmen. Zwar beendeten die Wahlen vom 14. September die Ära von Fredrik Reinfeldt und seinen Allianz-Regierungen seit 2006 in Stockholm. Doch die äußerste Rechte wurde zum Zünglein an der Waage. Angesichts dieser „neuen politischen Landschaft“ will Löfven die Wähler nun erneut entscheiden lassen. Schwedens Premier steht erst seit zwei Jahren an der Spitze der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Zuvor hatte er die starke IF-Metall-Gewerkschaft geleitet. Löfven bemühte sich vergeblich darum, Liberale und Zentrumspartei aus ihrem Block herauszulösen. Die Grünen mussten zurückstecken: Der Atomausstieg wurde nicht beschleunigt, Arbeitsplätzen und Energiesicherheit Vorrang eingeräumt. Der Rüstungsetat sollte deutlich aufgestockt werden. Zeitgleich hielten Schwedens Streitkräfte, begleitet von kräftigem Medienrummel und Rückgriffen auf Rhetorik des Kalten Kriegs, im Gebiet der Stockholmer Schären vergeblich Ausschau nach einem vermeintlichen russischen Unterwassereindringling. In Umfragen sprach sich erstmals eine Bevölkerungsmehrheit für die Aufgabe der Blockfreiheit und einen Anschluss an den US-geführten Militärpakt NATO aus. Wieder ins Zentrum der nationalen Politik rückte die frühere Sozialministerin und EU-Kommissarin Margot Wallström als neue Außenministerin, in der Nachfolge von Carl Bildt.
Nachdem sie die Löfven-Regierung torpediert hatten, boten nun die Chefs der vier bürgerlichen Parteien eine Übereinkunft an, um die Minderheitsregierung bis zum Wahltermin durchzuschleppen. Außerdem soll demzufolge künftig der jeweils stärkere Block die Regierung stellen und eine Regelung zur Verabschiedung des Haushalts getroffen werden, welche den Einfluss der Schwedendemokraten neutralisiert. Eine formelle große Koalition schließen diese Parteien hingegen aus. Es wird ein knapper Ausgang zwischen Moderaten, Zentrum, Christdemokraten und Liberaler Partei auf der einen und Sozialdemokraten, Grünen und Linken auf der anderen Seite erwartet. Klare Mehrheiten rücken in weite Ferne, da die Schwedendemokraten nach Umfragen weiter zulegen. Das bürgerliche Lager hat nach den Erhebungen nach langer Zeit einmal wieder die Nase vorn. Dessen Spitzenkandidatin wird die bisherige wirschaftspolitische Sprecherin der Moderaten, Anna Kinberg Batra sein, die am 10. Januar zur neuen Chefin der größen Oppositionspartei bestimmt werden soll.
Sorgen um ihre politische Zukunft machen sich die Linken. Derzeit werden sie nur knapp über der Vierprozenthürde gesehen. Mit 5,7 Prozent waren sie bei den Wahlen unter ihren Erwartungen geblieben. In der Partei wird eine Schärfung des Profils gefordert. Vänster hatte zuletzt fast ausschließlich auf die Forderung nach einem Verbot der Profitorientierung im sozialen Sektor gesetzt, auf Kosten anderer Themen.
Von Peter Steiniger. Erschienen in: junge Welt vom 12.12.2014, S.7, Rubrik: Ausland Link
Siehe auch: Neuwahlen in Schweden vom Tisch (29.12.2014)