Aus die Maus. Nach zweitägiger heftiger Debatte im portugiesischen Nationalparlament, der Assembleia da República, kam es, wie es kommen musste. Die Ablehnung des von der konservativen Koalition aus Partido Social Democrata (PSD) und Centro Democrático e Social (CDS) vorgelegten Regierungsprogramms mit den Stimmen der gesamten Opposition beendete die kurze Amtszeit des Kabinetts von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho.
Ein entsprechender Antrag der Sozialisten wurde mit allen 123 Stimmen der Opposition gegen die der 107 Vertreter des Regierungslagers angenommen. Das Votum zog automatisch den Sturz der 20. Regierung seit der Nelkenrevolution 1974 nach sich. Mit elf Tagen, fünf Stunden und ein paar Minuten war ihr die kürzeste Zeitspanne in der Geschichte der portugiesischen Demokratie beschieden. Damit geht die politische Krise in dem iberischen Land nach der Parlamentswahl vom 4. Oktober in eine neue Runde.
Ausgelöst worden war sie durch eine ideologisch motivierte Entscheidung des konservativen Präsidenten Aníbal Cavaco Silva. Dieser hatte den Auftrag zur Regierungsbildung erneut an Passos übertragen, obwohl dessen Wahlallianz ihre Mehrheit im Parlament klar verloren hatte und mit einem Koalitionsangebot bei den Sozialisten (PS) abgeblitzt war. Cavaco hatte PS-Generalsekretär António Costa, der nach der Wahl eine historische Annäherung an die Linksparteien vollzog und sowohl den Linksblock (BE) als auch das Bündnis CDU aus Kommunistischer Partei (PCP) und den Grünen in sein Boot holte, einen Korb gegeben. Die drei Fraktionen verfügen über 122 der 230 Parlamentssitze. Auch der einzelne Abgeordnete der Tierschutzpartei PAN stimmte am Dienstag mit ihnen. Der Präsident aber hatte es für Portugal, dessen EU-Kreditgeber und mit Hinblick auf das Vertrauen der Finanzmärkte als unverantwortlich angesehen, einem Kabinett, das von „antieuropäischen politischen Kräften“ und NATO-Gegnern abhänge, den Segen zu geben.
Während der Diskussion im Parlament vorgestern präsentierte Passos das Programm seiner Regierung noch als eine „stimmige und glaubwürdige Lösung“. Unter seiner Führung sei eine gute Basis für die ökonomische Erholung des Landes gelegt worden. Bei einer Fortsetzung dieser Politik könne für 2016 ein Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent erreicht werden. Alternative Konzepte würden zum Ruin führen und von ihm bekämpft werden. Nach der vorgelegten Agenda wäre eine leichte Abschwächung der Austeritätspolitik zu erwarten gewesen. Eine erfolglose Konzession an den Partido Socialista, um Abgeordnete in das konservative Lager hinüberzuziehen. Denn nicht auf Eis gelegt werden sollte die Privatisierung großer Unternehmen wie der Fluglinie TAP. Vertreter aller Oppositionsparteien warfen der Passos-Regierung vor, Elend und Arbeitslosigkeit erzeugt und Bildungs- und Gesundheitswesen kaputtgespart zu haben.
Während der Sitzungspause am Dienstag nachmittag, noch vor Behandlung der vier Anträge von PS, Linksblock, PCP und Grünen zur Ablehnung des Regfierungsprogramms, trafen Repräsentanten dieser Parteien eine Übereinkunft zur Zusammenarbeit für die gesamte Legislaturperiode. Als zentrale Ziele werden die Erhöhung der Haushaltseinkommen, die Stärkung des Sozialstaats, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Ankurbelung der Wirtschaft genannt.
Im Parlament dann erledigten sich mit der Annahme des PS-Antrages auch die weiteren gegen die Regierung. „Die Versammlung der Republik hat den Mehrheitswillen der Portugiesen bei der Wahl zum Ausdruck gebracht“, erklärte PS-Chef António Costa zum Abschluß der Debatte. Die Sozialisten könnten nun eine stabile Regierung auf die Beine stellen. Diese werde die internationalen Verpflichtungen des Landes erfüllen. Unter dem Applaus aller Abgeordneten der neuen Mitte-links-Allianz sagte PCP-Generalsekretär Jerónimo de Sousa: „Es ist eine Zeit für Taten, für den Aufbau einer besseren Zukunft.“
Während der Debatte demonstrierten vor dem Parlament in Lissabon sowohl Anhänger der Konservativen als auch Tausende, die auf den Aufruf der Gewerkschaftszentrale CGTP hin ein Ende der rechtsgerichteten Politik forderten. Mit letzteren feierten de Sousa und Catarina Martins, Sprecherin des Linksblocks, den Fall der aktuellen Regierung.
Präsident Cavaco muss nun neu entscheiden. Aber es ist längst nicht ausgemacht, dass er Costa mit der Regierungsbildung beauftragt.
Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 12.11.2015, S.6, Link