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Aufstand der Frauen

„Vereinigte Frauen“ (und Männer): Hunderte kamen zur Berliner Veranstaltung gegen Bolsonaro ans May-Ayim-Ufer nahe der Oberbaumbrücke (Foto: Lillah Halla)

Mehr als drei Millionen schlossen sich der Initiative im Internet bereits an, Hunderttausende – in der Mehrzahl Frauen – gingen am letzten Sonnabend im September in ganz Brasilien und an vielen Orten weltweit zu Protestaktionen auf die Straße. Auch in Europa waren sie sichtbar, etwa in Berlin, Wien, Rom, Paris, Lissabon und Barcelona. Selbst in Melbourne in Australien und im karibischen Santo Domingo war der Ruf zu vernehmen. Unter der Losung „#EleNão“ warnten sie laut und leidenschaftlich nur eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen im größten Land Südamerikas vor dem ultrarechten Kandidaten Jair Bolsonaro.

Der langjährige Kongressabgeordnete hetzt laufend gegen Frauen, Schwarze, Indigene und Homosexuelle, verherrlicht die Militärdiktatur (1964–1985) und deren Folterer, stachelt an zu Gewalt gegen Minderheiten und Andersdenkende. Seine Anhänger machen Jagd auf Linke. Morde und Vergewaltigungen, verbale und physische Übergriffe gegen Frauen gehören in Brasilien zum Alltag. Hinter Bolsonaro stehen religiöse Fundamentalisten mit Masseneinfluss, die reaktionäre Oberschicht des Landes sowie Hardliner aus Militär und Polizei. Er schlägt Profit aus der Krise des Landes und dem Vertrauensverlust der Menschen in die etablierte Politik. Dem Großkapital verspricht er einen ultraliberalen Kurs. Mit Bolsonaro droht Brasiliens Gesellschaft nach dem institutionellen Putsch 2016 ein weiterer dramatischer Rückschritt. Nachdem Wahlfavorit Lula in politischer Haft sitzt und sein Antritt von der Justiz gegen internationales Recht untersagt wurde, liegt der faschistische Kandidat in den Umfragen vorn.

Auf den Kundgebungen und Demonstrationen wurde auch an die Frauenrechtlerin und Politikerin der Partei Sozialismus und Freiheit Marielle Franco erinnert, die im März 2018 in Rio de Janeiro einem Anschlag von Auftragskillern zu Opfer fiel. Gefordert wird, das Verbrechen endlich aufzuklären, die politischen Hintermänner dingfest zu machen. Gegen das dunkle Kapitel, das Brasilien droht, gegen Rassismus und Homophobie, zeigen nun immer mehr Menschen Gesicht, erheben ihre Stimme. Am heutigen Sonnabend gehen brasilianische Frauen wieder auf die Straßen. Sie wissen, es ist fünf vor zwölf.

Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 06.10.2018, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage, Link