Sie sitzen alle in einem Boot: Konservative und Sozialdemokraten, die rechten Schwedendemokraten und sogar die meisten Grünen. 240 Abgeordnete des Reichstags in Stockholm stimmten am 21. Juni für schärfere Regeln im Asylrecht.
Aufenthaltsgenehmigungen werden demnach, anders als bisher, fast nur noch befristet erteilt. Ausgenommen davon sind jene, die über mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk vereinbarte Quoten ins Land kommen. Unterhaltsleistungen für Asylbewerber werden gekürzt. Künftig kann ein Ausländer einen dauerhaften Aufenthaltstitel im Anschluss an einen befristeten nur dann erhalten, wenn er einen Job hat und genug Geld verdient. Besonders hart trifft Menschen, die in das nordische Land geflohen sind, eine klare Einschränkung der Möglichkeit einer Familienzusammenführung. Wer als „Alternativer Schutzbedürftiger“ gilt, der vor Kriegen und Konflikten statt aufgrund von Verfolgung geflohen ist, und damit nicht unter die UN-Flüchtlingskonvention fällt, hat schlechte Karten. Betroffen von der Neuregelung, die am 20. Juli in Kraft tritt, sind alle Asylbewerber, die nach dem 24. November 2015 nach Schweden gekommen sind. Die Regelungen gelten zunächst für drei Jahre. Nur 45 Abgeordnete haben gegen den Vorschlag gestimmt, das Gros der Ablehner stellen das Zentrum und die Linkspartei (Vänsterpartiet), deren zwanzig Vertreter ihn als einzige Fraktion geschlossen mit Nein beschieden. Die Liberalen enthielten sich mit wenigen Ausnahmen.
Die Minderheitsregierung von Stefan Löfven aus Sozialdemokraten und Grünen möchte mit dem Gesetz per Abschreckung die Zahl der neu in Schweden ankommenden Flüchtlinge deutlich senken. Das einzige Musterland der Asylpolitik – mit einer großen Aufnahmebereitschaft und zeitweilig dem Bemühen um eine gute Integration von Ausländern in die Gesellschaft – möchte sich nur noch an den Minimalstandards nach dem EU-Recht und internationalen Konventionen orientieren. In der im Herbst 2015 rasch zunehmenden „Flüchtlingskrise“ wurde Schweden zu einem der attraktivsten Zielländer. Im vergangenen Jahr hatte das größte skandinavische Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern etwa 160.000 Asylanträge zu verzeichnen. Jeder sechste Schwede ist mittlerweile im Ausland geboren.
Die Regierung des Sozialdemokraten Löfven wird von der bürgerlichen Opposition toleriert. An der großen Koalition gegen das Asylrecht beteiligt sich mit den konservativen Moderaten auch die zweitstärkste parlamentarische Kraft. Die etablierten Parteien reagieren auf spürbare Konkurrenz von rechts. Mit ausländerfeindlicher und rassistischer Demagogie schafften es die Schwedendemokraten (SD) bei den vergangenen Reichstagswahlen im September 2014, ihren Stimmenanteil mit 12,9 Prozent mehr als zu verdoppeln. Eine Aushöhlung der Integrationspolitik hat soziale Brennpunkte mit einem hohen Einwandereranteil entstehen lassen. Auf dem Arbeitsmarkt ist die Konkurrenz härter geworden. Zusammen mit der in Europa umgehenden Angst vor islamistischem Terror bildet das einen Nährboden für rechte Populisten.
Der Entscheidung des Parlaments war eine kontroverse, hitzige Debatte in der Öffentlichkeit vorausgegangen. Menschenrechtsorganisationen und die Kirche hatten das politische Zurückweichen als inhuman kritisiert. Die Kinderschutzorganisation „Rädda Barnen“ beklagt, dass in vielen Fällen asylsuchende Familien auseinandergerissen, Kinder und Jugendliche Gefahren ausgesetzt blieben. Das sei „unakzeptabel“ und verstoße gegen internationale Normen. Das Bündnis „Volkskampagne für das Asylrecht“ kritisiert, dass die Integration von Menschen, die dafür besonders auf Sicherheit angewiesen seien, weiter erschwert werde.
Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 04.07.2016, S.6, Link