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Abstecher ins Jenseits

Runter von der Autobahn! Wer ins Paradies gelangen möchte, sollte nicht den schnellsten, sondern den schönsten Weg dorthin einschlagen. Ein solches von der Natur geformtes Idyll ist die Landschaft um das ehrwürdige Städtchen Nisa im Osten des Alto (Oberen) Alentejo. Gut vier Stunden dauert die vierrädrige Fahrt von Lissabon. Man überquert zunächst die mehr als 17 Kilometer lange Vasco-da-Gama-Brücke, welche im langen Bogen die innere Tejomündung überspannt. Dann wird Kurs auf Osten gesetzt.

Schnurgerade geht es erst einmal die Nationalstraße 251 entlang, Pinienwälder und wuchernder Eukalyptus ziehen vorbei, gefolgt von Olivenhainen, Kohlfeldern und unzähligen Korkeichen, Orangen leuchten, Reissilos grüßen, bald lassen sich nur noch wenige menschliche Ansiedlungen blicken. Etwa auf halber Strecke, bei der Kleinstadt Mora, erfolgt ein scharfer Schwenk nach Norden, um das Schauspiel der Talsperre Montargil zu erleben. Der Rest der Fahrt wird stetig kurviger, die Sanftheit der Hügellandschaften schwindet. Die ursprünglich römische Gründung Nisa, die nach der sogenannten Rückeroberung, der Reconquista, aus der Hand der Mauren in die des christlichen Templerordens gelangte, ist nun bald erreicht. Ein historischer Ortskern mit verträumten Gassen lädt zum Flanieren ein, berühmt aber ist Nisa für originäres Kunsthandwerk, für Töpferware mit Steinchenapplikationen („olaria pedrada“), für kunstvolle Stickereien und kreative Filzapplikationen. Außerdem stellt sie ein ideales Sprungbrett für Erkundungszüge in das bergige Umland der Flüsse Tejo und Sever, der hier die Grenze zu Spanien markiert, dar.

Stein bei Stein

Serra das Talhadas, Geopark Naturtejo

Acht Trails, markierte Wanderrouten, locken hinaus in die Wildnis der Natur. Einer beginnt gleich hinter dem Dörfchen Arneiro. Flache, weiße  Häuser mit roten Ziegeldächern, der Sockel meist mit heller Ockerfarbe getüncht, anders als im Süden des Alentejo, wo ein leuchtendes Blau vorherrscht. Nur wenige hundert Seelen leben hier im hintersten Winkel der Provinz, wo sich Fuchs und Elster gute Nacht sagen und der Bus nur einmal in der Woche hält. Nach wenigen Schritten bereits ist spürbar: Sie haben hier jede Menge Schotter. Schiefer, Quarze und Granit: Über Feld und Flur, Berge und Täler scheint es Steine gehagelt zu haben. Der Geopark Naturtejo, in dem der Kreis Nisa liegt, birgt gewichtiges geologisches Erbe aus dem Erdaltertum. An echten Ackerbau ist nicht zu denken, Olivenbäume und locker verstreute, wildverzweigte Korkeichen, manche bereits uralt, umstehen den Ort. Die Stämme der in jüngerer Zeit geschälten Bäume leuchten noch dunkelrot. Eine aufgemalte Zahl zeigt das Jahr an, in dem zuletzt die Schälaxt angesetzt wurde. Acht Jahre müssen vergehen, bis es erneut soweit ist. Ein langsamer Rhythmus, der mit dem Temperament der Menschen hier bestens korrespondiert.

Das Wandern haben sie hier nicht erfunden, es soll vor allem naturaffine Gäste in die entlegene und wenig entwickelte Region locken. Noch längst tritt man sich hier nicht auf die Füße. Die Portugiesen selbst beginnen erst damit, diesen Freizeitspaß zu entdecken. An schwerer körperlicher Betätigung herrschte im von Latifundien geprägten Alentejo für die Menschen nie Mangel. Er ist kein Spaziergang, der Auf- und Abstieg über das Geröll, Haltegriffe an Felsen oder Bäumen sucht man vergeblich. Zur Belohnung fährt die Natur für ihr Schauspiel das volle Programm auf. Von Aussichtspunkten bietet sich ein prächtiges Panorama aus Wald, Fluss und Bergen. Es kreucht und fleucht. Über den Gipfeln kreisen Raubvögel, besonders die mächtigen Geier imponieren. Bei den Portas de Rodão wird der Tejo durch ein majestätisches Felsentor gezwängt. Uralte Siedlungsreste, Treidelpfade, mittelalterliche Gruben, die archäologische Stätte Conhal de Arneiro, wo die Römer Gold gewannen, verweisen auf die lange Anwesenheit des Menschen hier.

Märchenhaft

„Jenseits des Tejos“, des längsten Flusses in Portugal, bedeutet der Name seiner größten Region, die fast ein Drittel des Festlands ausmacht und im Süden von der Algarve begrenzt wird. Es ist zugleich der am schwächsten besiedelte Teil des Landes. Die Jungen zieht es weg in die Städte. Der Alentejo ist landwirtschaftlich geprägt, großflächige Betriebe in weiten Landschaften herrschen vor. Neben Rinder- und Schweinezucht wird Getreide, darunter viel Reis, produziert. Oliven und gut ausgebaute Weine profitieren von vielen Sonnentagen. Auf Plantagen reifen Beeren und Tomaten. In der Korkgewinnung ist man hier weltweit vorne. Wenn die Korken französischer Champagner knallen, ist meist ein Stück Alentejo beteiligt.

Und das alles gehört? Märchenhaft wenigen. Bereits im Gefolge der Reconquista bildeten sich hier feudale Herrschaftsstrukturen heraus, die bis heute nachwirken. Für einen Wimpernschlag der Geschichte wurden sie gekappt. Nach der Nelkenrevolution, die mit dem Sturz des klerikalfaschistischen Regimes am 25. April 1974 anbrach, führte hier die Landarbeiterschaft einen radikalen und zeitweise erfolgreichen Kampf um die Bodenreform. Bis heute ist der Alentejo Hochburg der Kommunisten. Zu diesen zählte auch der Tagelöhnersohn und Literaturnobelpreisträger José Saramago, der in seinem Roman „Hoffnung im Alentejo“ („Levantado do Chão“) das harte Leben und den Kampf der Besitzlosen verewigte.
Noch ein Blick aufs Meer, schließlich ist Portugal doch eine große Seefahrernation. Wen es ans Wasser zieht, der findet an der Küste des Alentejo weite Strände ohne Touristenpulks. Von Santiago de Cacém führt ein Fernwanderweg, die Rota Vicentina, bis zur Südwestspitze Europas. Ein „Fischerpfad“ mit steilen Klippen und kleinen Traumbuchten führt direkt am brodelnden Atlantik entlang. Wer es ruhiger und Geschichte, Bräuche und Kultur erleben möchte, nimmt den „Historischen Weg“ weiter im Hinterland. Im Frühjahr ist der Alentejo ein Blumenmeer. So wie hier die Hoffnung wächst es stets aufs neue.

Von Peter Steiniger. Erschienen in: junge Welt vom 04.03.2015, Beilage „Alternatives Reisen“, S.3, Link

Wandern im Alto Alentejo:

www.facebook.com/landescapewalks

Rota Vicentina:

www.rotavicentina.com

Mundo Montado – Tourismusagentur für das südwestliche Alentejo, setzt auf Nachhaltigkeit und solidarische Ökonomie: www.mundomontado.com